Aufatmen in der Lüneburger Heide

Die Lüneburger Heide kenne ich in erster Linie von der Durchreise. Auf unseren zahlreichen Reisen an die Ostsee durchqueren wir regelmäßig die platte Landschaft mit den endlosen Kiefernwäldern und schmucklosen Dörfern. Die wenigen Tagesausflüge in die Lüneburger Heide verbinde ich in meiner Erinnerung mit langen Anfahrten über schnurgerade Landstraßen und einer enttäuschenden Heideblüte (irgendwie war ich immer entweder zu früh oder zu spät dran). Es blieb der Eindruck, dort nichts zu verpassen. Nun hat es mich nicht ganz freiwillig für eine Woche in die Heideregion Uelzen verschlagen Und die Lüneburger Heide hat mich mit ihrer besonderen Natur wirklich überrascht. Sie hat einen ganz speziellen Reiz und dazu brauchte es noch nicht mal die Heideblüte.

Endlose Felder und Kiefernwald in der Lüneburger Heide

Lüneburger Heide im Frühjahr: Wollgrasblüte statt Heideblüte?

Büffeltour nannte sich die Rundwanderung bei Bad Bodenteich in dem kleinen Heftchen mit dem Titel: „Wander- und Erlebnispfade in der Heideregion Uelzen“, das mir in der Touristeninformation im Kurhaus von Bad Bevensen überreicht wurde. Von der Wollgrasblüte, die zu dieser Jahreszeit Ende April / Anfang Mai manche Heideregionen in ein Meer wie aus Watte hüllen soll (so las ich im Internet auf einschlägigen Tourismusseiten der Lüneburger Heide), wussten die freundlichen Mitarbeiter allerdings nichts. Wenn schon nicht Heideblüte, dann doch wenigstens Wollgrasblüte, dachte ich mir. Die „Büffeltour“ kratzte ein Moorgebiet, in dem ich aufgrund meiner Recherchen Wollgras erhoffte.

Mit einer inneren Anspannung wanderten wir los. Bereits gestern sollte mein Vater operiert werden. Gemeinsam mit meiner Mutter brachte ich ihn ein paar Tage vorher in das Herz- und Gefäßzentrum nach Bad Bevensen in der Heideregion Uelzen südlich von Lüneburg. Wolfgang kam etwas später mit Bobby hinterher. Die OP wurde verschoben. Zu viele Notfälle kamen dazwischen. Mein Vater war zum Glück noch kein Notfall und musste warten. Mehrere Bypässe im Herz sollen das Risiko eines Herzinfarktes senken und ihm zu seinen 82 Jahren noch etliche weitere lebenswerte Jahre schenken. Mein Vater zweifelte keine Sekunde an der schweren Operation. Je lebensgefährlicher die Ausgangslage, desto unerschrockener und mutiger sei er, sagt er über sich selbst.

Wir erwarteten uns nicht viel von der „Büffeltour“, außer Ablenkung von der Sorge um meinen Vater und vielleicht ein wenig Wollgrasblüte. Kaum unterwegs, umfing uns eine besondere Ruhe, angefüllt nur von Geräuschen der Natur. Vögel kreischten in der Ferne, neben uns raschelte es im Gras. Eben passierten wir noch endlose Spargelfelder und nun befanden wir uns in einer Auen- und Moorlandschaft, die in ihrer Weite und Einfachheit die Sinne zu schärfen schien.

Gerade standen wir an einer riesigen Weidefläche und beobachteten zwei stolze Pferde, die sich uns neugierig näherten. Den Fahrradfahrer bemerkten wir erst als er stehenblieb, um wohl angesichts unserer recht üppigen Tagesrucksäcke zu fragen: „Sind Sie länger hier unterwegs?“ Als er hörte, wo wir herkommen, war er ganz aus dem Häuschen. „Das muss ich nächste Woche in der Kreissitzung erzählen, dass Sie bis aus Braunschweig nach Lüder kommen, um hier zu wandern!“ Er erklärte uns ausführlich den Wegeverlauf zu den weiteren Sehenswürdigkeiten (Angus Rinder und Vogelbeobachtungsstation). Und sogar die Wollgrasblüte kannte er. „Da gehen Sie einfach ein paar Schritte ins Heidemoor, um zu gucken. Das ist zwar verboten, aber wenn Sie vorsichtig sind …“

Tierbegegnungen in der Lüneburger Heide

Wir liefen die beschriebenen Moorpfade 1 und 2 bis zur Aussichtsplattform am Schweimker Moor. Bereits auf dem Weg dorthin kreiste über uns ein Kranichpärchen, das uns kommentierend begleitete. Als ein Reh neben uns im Gebüsch aufsprang und Bobby standesgemäß ausrastete, waren die Kraniche verschwunden. Von der Vogelbeobachtungsstation aus, sahen wir sie wieder. Sie pickten sich durch das Heidemoorgebiet, in dem zu dieser Jahreszeit regelmäßig bis zu acht Kranichpärchen und etliche andere Vogelarten ihre Brutstätte haben, wie wir auf den Schautafeln und den dort ausliegenden Informationsheften des NABU nachlesen konnten.

Von der Wollgrasblüte sahen wir nichts. Aber das war mittlerweile sowieso fast vergessen, genauso wie die sorgenvollen Gedanken. Die Landschaft und die Tierwelt nahmen uns gefangen im Hier und Jetzt. Ganz einfach. Ganz unspektakulär. Und doch umso faszinierender.

Aussicht auf das Schweimker Moor – schön auch ohne Wollgrasblüte
Extensive Tierhaltung in der Lüneburger Heide – glückliche Galloway und Angus Rinder

Wander- und Erlebnispfade in der Heideregion Uelzen

Am nächsten Tag war es dann so weit. Mein Vater wurde operiert. Wieder suchte ich in dem kleinen Heftchen über die Heideregion Uelzen eine kleine Rundwanderung am Ahrensberg bei Ebstorf für meine Mutter und mich heraus. Wolfgang ist zwischenzeitlich abgereist wegen beruflicher Termine. Wandern und Torte für die Seele hieß die Devise an diesem Tag und das funktionierte ganz passabel.

Als mein Vater mit schwacher Stimme sagte, dass er seinen Puls nachkontrolliert hat, wusste ich, dass er über den Berg war. Auf den ersten Blick zweifelte ich daran. Durch Kabel und Schläuche verbunden mit blinkenden Geräten und leuchtenden Monitoren, lag er mehr einem Stück Fleisch als einem Menschen ähnlich, im Vierbettzimmer der Intensivstation. Jede seiner Körperfunktionen wurde überwacht. Sein Herz musste nach der vorangegangenen mehrstündigen Herzoperation das schlagen erst wieder lernen. Aber mein Vater vertraut nur sich selbst. Er hätte am Handgelenk seinen Puls überprüft und festgestellt, dass alles in Ordnung sei. Als er das sagte, lächelte er verschmitzt. Meine Mutter und ich sahen uns an und wir lachten laut los vor Erleichterung. Wir konnten aufatmen. So kennen wir ihn.

Lüneburger Heide: Naturbeobachtungen irgendwo im Nirgendwo

Das Wochenende kam und mit ihm auch wieder Wolfgang in die Lüneburger Heide. Auch mein Bruder reiste an. Mein Vater machte weiter Fortschritte. Eine Nachtschwester hatte ihn schon auf dem Kieker. Er wollte wohl wissen, weswegen das Gerät, das durch Drähte mit seinem Herz verbunden ist (das er am ersten Tag noch für die Fernbedienung der Fensterjalousien gehalten hatte), immer so blinkt. Er würde zu viele Fragen stellen, war die Meinung der genervten Schwester. Mein Vater sagte, dass er sich nun vorgenommen habe, ein braverer Patient zu werden. Dabei zwinkerte er mit den Augen.

Erleichtert durch diese hoffnungsvolle Entwicklung freuten wir uns auf weitere Entdeckungen rund um die Heideregion Uelzen. Es ging auf den Naturerlebnispfad Esterauniederung bei Wieren / Könau. Und diese kleine Runde von vier Kilometern war genau wie all die anderen Miniwanderungen der letzten Tage: Entspannend. Entschleunigend. Irgendwo im Nirgendwo. Ganz nah bei sich selbst.

Naturbeobachtungen am „Erlebnispfad Esterauniederung“

Die Ellerndorefer Wacholderheide: Wer braucht schon die Heideblüte?

Aber was ist ein Aufenthalt in der Lüneburger Heide ohne eine echte Heidewanderung? Die meisten klassischen Heidegebiete sind ja relativ klein. Bei der Größe des Gesamtgebietes, das sich fast von Hannover bis Hamburg erstreckt, kann man die klassischen Heideflächen fast übersehen. Umgeben von öder Feld- und Landwirtschaft gibt es die kleinen teilweise sogar hügeligen Naturschutzgebiete, in denen sich diese einzigartige Landschaft erhalten konnte. Auf unserem Spaziergang durch die Ellerndorfer Wacholderheide haben wir zwei weitere Menschen getroffen. Zur klassischen Heideblütezeit im August platzt es hier aus allen Nähten, erzählte uns die Wirtin des „Schafstalls“, ein herrliches Café, in man mit dem einzigartigen Sound von jungen Heidschnucken im Ohr auf der sonnigen Terrasse leckere Torten essen kann. Mir hat die Ellerndorfer Wacholderheide auch ohne Heideblüte ausgesprochen gut gefallen.

Die Operation ist nun 10 Tage her. Gerade erreichte mich ein Anruf aus dem Krankenhaus. Mein Bruder ist wieder zu Besuch. Meine Mutter ist sowieso durchgängig in Bad Bevensen. Die Ärzte sind sehr zufrieden. Mein Vater sagt, er wisse nicht, ob er das so glauben kann. Ich freue mich. Er ist ganz der Alte – ein Skeptiker. Bald kommt er in die Reha und darf das Klinikgebäude verlassen. Dann hole ich ihn ab auf einen kleinen Spaziergang für die Seele mit Bobby und Torte in der Lüneburger Heide.


11 Gedanken zu “Aufatmen in der Lüneburger Heide

  1. Liebe Andrea,
    die Lüneburger Heide mag ich auch sehr gern, war dort schon 4 oder 5 Mal im Urlaub. Schöne Landschaft, tolle Farben, lecker Kuchen. Und Pippa kam mit den Heidschnucken gut zurecht.
    Aber viel wichtiger als all das: Dass dein Papa die OP gut überstanden hat, das freut mich sehr für Euch alle. Möge er sich gut erholen!
    Ganz liebe Grüße
    Natascha

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    1. Vielen Dank liebe Natascha für deine guten Wünsche für meinen Papa! Ich wäre tatsächlich nie auf die Idee gekommen, in der Heide Urlaub zu machen. Aber die Landschaft und die Torten waren genau richtig in der Situation, einfach gut für die Seele. Ganz liebe Grüße nach Bayern, wo ich immet noch lieber Urlaub mache als in der Heide 😉

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  2. Ich find ja, die Heide hat eine besondere Wärme. Da kann ich mir gut vorstellen, dass es eine gute Landschaft für diese aufregende Woche war. Weiterhin gute Besserungs für Deinen Vater. Und liebe Grüße, Stefanei

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    1. Ja, genau so habe ich es auch empfunden. Und wir sagen bereits jetzt in unserer Familie: Trotz des sorgenvollen Anlasses, wird die Erinnerung an die Zeit in der Lüneburger Heide immer auch sehr schön sein. Vielen Dank für die Genesungswünsche für meinen Vater! Liebe Grüße von Andrea

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