Warum ich nie wieder auf den Brocken wollte … [Harz]

Auf den Brocken sollte man entweder früh am Morgen oder spät am Abend, möglichst nicht an einem Wochenende, auf keinen Fall in der Ferienzeit und / oder am besten bei trüber, ungemütlicher Wetterlage gehen. Dann hat man den Hauch einer Chance, dass das Brockenplateau nicht einem Rummelplatz ähnelt. Mit ein wenig Glück reißen sogar unerwartet die Wolken auf, um den Blick in alle Himmelsrichtungen freizugeben. Dann fühlt man sich auf dem höchsten Berg Norddeutschlands für einen Moment wie auf dem Dach der Welt.

Brockengipfel

Ansonsten kann man sich meiner Meinung nach den Brockengipfel ersparen, es sei denn man liebt Völkerwanderungen, johlende Menschengruppen, Gedrängel wie samstags in der Fußgängerzone und dazu den speziellen „Brockenwirtduft“ von Brühwurst.

Und doch habe ich es wieder gemacht. Ich war auf dem Brocken. Und es gab Momente der Verstörung, des Staunens, des Ärgerns und Wunderns und letztendlich auch Lachens – vielleicht wie immer beim Wandern oder im Leben aber auf dem Brocken im Besonderen.

Frühmorgens von Schierke auf den Brocken

Es war 5 Uhr morgens als ich aufwachte. Wolfgang machte sich gerade fertig, um in aller Frühe nach Glücksburg zu einem einwöchigen Segelkurs aufzubrechen. Als ich ihm zum Abschied zuwinkte, schien die Sonne an diesem Samstag im Juli bereits strahlend vom Morgenhimmel und mir fiel nichts Besseres ein, als die Gunst der frühen Stunde zu nutzen, in den Harz zu fahren und mal wieder den Brocken zu besteigen.

Um zwanzig nach sieben bin ich tatsächlich das erste Auto im großen Parkhaus in Schierke. Ich mag diese kleine Ortschaft am Brocken, die es mit einem gut durchdachten Park- und Verkehrskonzepts geschafft hat, einen beinahe autofreien Ortskern zu schaffen. Und obwohl es hier einige Spaß- und Massentouristische Angebote wie (Konzert-) Veranstaltungen in der neuen Eislaufarena oder natürlich auch die letzte Haltestelle der Harzer Schmalspurbahn vor dem Brocken gibt, drängen sich diese nicht in den Vordergrund. Ramschbuden, Leuchtreklamen und eine harztypische „Feldküche“ mit Erbsensuppe am Straßenrand sucht man hier (hoffentlich noch lange) vergeblich. In Schierke befindet man sich mitten im Nationalpark Harz und das spürt man bereits, wenn man durch den wunderschön angelegten Kurpark spaziert, der die Charakteristik des Harzes mit verwunschenen Wasserläufen und bizarren Felsformationen sehr gelungen wieder spiegelt.

Über den Teufelsstieg und das Eckerloch auf den Brocken

An diesem Tag lasse ich Schierke aber rechts liegen und begebe mich sofort auf den Teufelsstieg, der von Elend aus über den Brocken bis nach Bad Harzburg führt. Herrliche Ruhe umgibt mich. Die Temperatur ist angenehm. Wir gehen entlang der kalten Bode durch saftiges Grün. In den letzten Tagen hatte es viel geregnet und alles um uns herum duftet nach Natur. Auch Bobby scheint zufrieden, es gibt jede Menge zu schnuppern und später, als wir den steinigen Eckerlochstieg erreichen, kann er über Felsen und Wurzeln voraus gehen und immer den besten Weg für uns finden. Er ist in seinem Element. Ich laufe ihm hinterher und habe einen riesigen Spaß dabei, von Stein zu Stein zu springen.

Auf dem Teufelsstieg …
… geht es entlang der kalten Bode …
und dann über Stock und Stein auf dem Eckerlochstieg.

Während ich mich beinahe wie in einem Tunnel auf den nächsten Schritt konzentriere, nehme ich dennoch mit allen Sinnen die abwechslungsreiche Umgebung wahr. Ab und zu muss ich Bobby zum Warten ermahnen. Es geht immer steiler bergauf. Ich muss verschnaufen. Dann höre ich noch intensiver die Geräusche der Natur. Vor uns beobachte ich drei Spechte auf einem abgestorbenen Baum, wie sie wild herumhüpfen und zetern als wollten sie uns als Störenfriede vertreiben. Die vielen toten Fichten im Harz als Zeichen des Waldwandels sehen nur von weitem bedrohlich aus. Begibt man sich mitten rein in den Nationalpark, dann kann man sehen, wie überall einer neuer „Urwald“ entsteht.

„Ist der Wald hier tot? Nein, im Gegenteil. Es gibt hier jede Menge Neues zu entdecken.“

Morgens, halb zehn auf dem Brocken

Auf der Brockenstraße, auf der man (fast) alternativlos die letzten Meter und in meinem Fall knapp zwei Kilometer gehen muss, kommen mir einige Rennradfahrer in einem Affenzahn entgegengesaust. Zwei Autos überholen mich, ebenfalls in einer Geschwindigkeit, die ich auf einem Wanderweg im Nationalpark, der zwar leider auch eine Straße für „Anwohner“ ist, nicht angemessen finde. Ach Brocken, je näher ich dir komme, desto hässlicher wirst du, denke ich mal wieder.

Über den noch verwaisten Bahnhof (die erste Brockenbahn kommt erst in etwa einer Stunde gegen halb 11 hier oben an) gehe ich Richtung Brockengipfel. Um mich herum ist kein Mensch und ich nutze die Gelegenheit, mein verschwitztes T-Shirt gegen ein frisches zu tauschen als ich ein Summen über mir höre. Ich schaue in den Himmel, suche ihn ab und entdecke über mir eine Drohne schwirren. Na wunderbar, auf welchem Werbevideo des Nationalparks bin ich jetzt mit meinem käseweißen und verschwitzen Körper beim T-Shirt wechseln drauf? Im Übrigen kann ich Drohnen nicht leiden. Nicht nur, dass sie ein ätzendes Geräusch erzeugen und dass man sich durch diese Dinger auf unangenehme Weise beobachtet fühlt, mich langweilen mittlerweile auch die vielen Drohnenaufnahmen, die man ständig sieht. In Dokumentarfilmen macht man über jede Landschaft einen spektakulären Flug und die Fotos, die früher mal in dem Bildband „Deutschland von oben“ faszinierend waren, sehen für mich heute irgendwie alle gleich aus.

Nationalpark und Brockengipfel

Auf dem Brockenplateau angekommen, wo ein großer Stein den Gipfel auf 1142 Metern markiert, folge ich dem Summton und sehe, wie die Drohne nun vor einem Pärchen schwebt. Er scheint die Drohne zu lenken, während sie sich um ihr Handy dreht. Denen werde ich die Aufnahme versauen, denke ich, und schon stehe ich kurz darauf neben dem Typen, die Drohne ist auf Augenhöhe vor mir. „Wisst ihr eigentlich, dass hier im Nationalpark Drohnen verboten sind?“ sage ich in einem strengen Ton und lege mir schon meine nächsten Worte zurecht: Dass sie bestimmt mit ihren Aufnahmen der ganzen Welt mitteilen wollen, was für eine perfekte Zeit sie hier auf dem Brocken hatten – die Ruhe, die Natur – fantastisch! Und dabei würde bestimmt unerwähnt bleiben, dass alle anderen wegen ihnen eine etwas schlechtere und nicht ganz so ruhige Zeit hatten. Der Typ sieht mich fragend an. „Äh, sorry, Netherlands!“ Och, nö, jetzt das Ganze auf Englisch? Ich stammele mir was zusammen von „National Park here“ und „nature“ und „forbidden!“ Und er zeigt mir ein grünes Symbol auf seinem Handy, das angeblich markieren soll, dass hier in diesem Gebiet Drohnenflüge erlaubt seien und erklärt, dass er nie in einer gelben oder gar roten Zone die Drohne starten würde und dass er noch nie Ärger bekommen hätte. Ich kann es nicht fassen, womöglich gelten auf dem Brockengipfel tatsächlich Sonderregeln?! „I can not believe, that it is a green zone here in a National Park!“ Dann schüttele ich nur noch ärgerlich den Kopf und wünsche einen „nice day“. Mir fehlen einfach die Worte, insbesondere auf Englisch (das muss ich unbedingt mal wieder auffrischen!), um zu sagen, dass es egal ob grüne, rote oder gelbe Zone, es einfach nervig ist, so eine Drohne über dem Kopf schwirren zu haben, wegen Respekt vor Mensch und Natur und so weiter und so fort …

Beim Weitergehen muss ich innerlich lachen über meinen Auftritt. Ob das nun alles von der Drohne aufgezeichnet wurde? In meinem Kopf sah ich schon die Bilder im Netz von mir als deutsche Feldwebelin (durch Fotomontage in eine Uniform gesteckt) auf dem Brocken, die schimpfend und zeternd den niederländischen Touristen jeden Spaß verdirbt. Oh, mein Gott, hätte ich bloß meine Sonnenbrille aufgesetzt, bevor ich vor die Drohenkamera getreten bin. Nie wieder werde ich auf den Brocken gehen, denke ich in dem Moment.

Ausblick und Frühstück am Brockenrundweg

Auf dem Brockenrundweg, den man, egal wie voll es oben auf dem Gipfel ist, immer fast ganz für sich allein hat, bin ich schon wieder versöhnlicher mit dem Brocken gestimmt. Ich blicke in die weite Landschaft und in den blauen Himmel und kann mich kaum entscheiden, welche Bank ich nehme, um das mitgebrachte Frühstück auszupacken.

Brockengipfel: Massenabfertigung im Nationalpark Harz

Seit einiger Zeit höre ich schon das Tuten von der Harzer Schmalspurbahn. Es kann nicht mehr lange dauern, bis sie hier oben ankommt. Ich gehe am Brockengarten vorbei und erreiche die Gaststätte des Brockenwirts. Neben den lieblos aufgestellten Bierbänken stehen die zwei Autos, die mich beim Aufstieg überholt hatten. An der Essensausgabe wird man auf einem Schild darauf hingewiesen, das Geschirr selbst zu entsorgen. Große Mülltonnen und leere Getränkekisten stehen praktischer Weise gut sichtbar direkt neben dem Plastikgeschirr, mit dem man das „Original vom Brockenwirt! leckere Erbsensuppe aus der Gulaschkanone“ verzehren kann. Jede Betriebskantine ist mittlerweile einladender, zeitgemäßer und auch nachhaltiger.

Eigentlich kann ich den beiden Holländern mit der Drohne keinen Vorwurf machen. Die App zeigte “grünes Licht“ und auf dem Brocken selbst hat man in der Tat nicht den Eindruck, dass man sich in einem Naturschutzgebiet befindet. Alles ist auf reine Massenabfertigung ausgelegt. Entsprechend verhalten sich halt hier oben auch die Menschen.

Ich schlendere noch ein wenig durch die Gegend und auf einmal höre ich ein fröhliches „Hello!“ von der Seite. Das niederländische Pärchen begrüßt mich, fast als wären wir alte Bekannte. „Do you know, when the train comes?“ Ach, ich liebe die Holländer. Nichts kann ihnen scheinbar die gute Laune verderben, noch nicht mal so eine aufgebrachte Spielverderberin wie ich. Gemeinsam gingen wir Richtung Bahnhof. Als der Zug um die Ecke gedampft kommt, haben die beiden sich schon die besten Plätze zum Fotografieren und Filmen gesichert.

Brockenbahn mit Influencern 😉

Abstieg vom Brocken über den Bahnparallelweg

Ich kehre dem Brocken den Rücken, bevor hunderte von Menschen aus dem Zug und auf den Gipfel strömen. Beim runtergehen über die Brockenstraße, auf dem Eckerlochstieg und auch als ich abbiege auf den Bahnparallelweg bekomme ich einen Eindruck davon, was dort oben heute noch los sein wird. Teilweise staut es sich an den schmalen Stellen und auf den breiteren Wegen kommen große Gruppen mit Bollerwägen hochgerollt. Trotzdem genieße ich den Abstieg. Bobby bekommt jede Menge Komplimente, weil er so tapfer mitgeht („Mein Labrador würde mir einen Vogel zeigen, wenn ich ihm sagen würde, dass er mit auf den Brocken soll.“) und weil er so süß ausschaut („Was für ein hübscher Hund!“)

Ich lasse die Erlebnisse Revue passieren und ab und zu blicke ich zurück Richtung Brocken. Je weiter ich mich von ihm entferne, übt er schon wieder eine gewisse Anziehungskraft auf mich aus. Und irgendwann geh‘ ich ganz bestimmt wieder da hoch, auch wenn ich heute mindestens einmal gedacht habe: nie wieder!

Am Bahnparallelweg …
… kann man gut Züge gucken.
Dann machen wir über den Pfarrstieg …
… noch einen Abstecher zum Ahrensklint mit Wurmbergblick.
Dann geht’s zurück nach Schierke.
So leer war das Parkhaus allerdings nicht mehr, als wir zurückkamen 😉

Brocken zum Nachwandern

Hier geht es zur Komoot-Aufzeichnung mit GPX-Daten meiner etwa 20 Kilometer langen Rundwanderung auf den Brocken (anmelden ist nicht nötig zum Anschauen – einfach runterscrollen):

Wanderung von Schierke über den Eckerlochstieg auf den Brocken und über den Bahnparallelweg, Ahrensklint und Pfarrstieg zurück.


7 Gedanken zu “Warum ich nie wieder auf den Brocken wollte … [Harz]

  1. Die letzten Male sind wir immer von Oderbrück hoch und ab Goethestation über den Bahnpaaralellweg. Eigentlich ein recht schöner Weg, ok der Anstieg zur Goethestation is not my favourite und die letzten km sind halt unvermeidlich Strasse, außer man kommt über den Heinrich Heine-Weg von der Eckertalsperre, aber den habe ich noch nicht gemacht. 1990 oder 91 bin ich mit meinen Eltern von Schierke aus hoch, da „war noch die Mauer da und die Kuppel lag im Nebel. Nach dem langen Aufstieg für uns Ungeübte glaubten wir zu haluzinieren, als uns Bratwurstduft in die Nase stieg…. aber es war tatsächlich ein Griller dort.

    Wir bevorzugen die frühe Stunde aber selbst da trafen wir beim letzten Mal auf einen Trupp der mit USB LAUTsprechnern durch den Wald latschte.
    Eine tolle Beschreibung der Ambivalenz, die auch bei anderen Gegenden habe.

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    1. Danke für deinen Kommentar! Das war bestimmt ein unvergesslicher Moment Anfang der 90er auf dem Brocken, toll! Der Brocken hat ja irgendwie immer noch so was wie eine Symbolkraft für die deutsche Einheit. Und ich kann mir auch total gut vorstellen, dass man damals dort oben im Nebel in einer Art „Niemandsland“ alles andere nur keine Bratwurst erwartet hat. Das war ja alles improvisiert und hatte bestimmt einen besonderen Flair. Ich habe bloß leider den Eindruck, dass der Brockenwirt in diesen Zeiten hängen geblieben ist … Liebe Grüße, Andrea

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  2. Erst einmal: Wieder mal tolle Fotos! 🙂 Über das Eckernloch bin ich auch immer gerne auf dem Brocken. Allerdings auch am liebsten dann, wenn keine anderen Menschen da sind. Was schier unmöglich geworden ist.
    Außerdem: Ich find’s toll, dass du dem Niederländer bzgl. der Drohne die Meinung gesagt hast. Unverschämt. Ich mag die Dinger auch überhaupt nicht. Vielleicht möchte ich auf diese Bilder/Videos ja gar nicht drauf, aber gefragt wird man da ja nicht. Und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass Drohnen in Naturschutzgebieten und National Parks verboten sind. Egal, was für eine Farbe das Schild hat. Oh Mann!

    Liebe Grüße
    Ines

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    1. Danke für dein Kompliment für die Fotos 🙂 Ja, der Eckerlochstieg hat richtig Spaß gemacht und um halb acht Uhr morgens war ich auch fast ganz alleine unterwegs! Ich habe übrigens noch mal recherchiert wegen Drohnen im Nationalpark Harz. Von einer Ausnahme des Verbots auf dem Brockengipfel habe ich nichts gefunden. Aber vielleicht denken die beiden ja demnächst einmal mehr darüber nach, wo sie ihre Drohen starten und ob sie dabei jemanden stören könnten, egal ob grünes Licht oder nicht, wer weiß?! Liebe Grüße, Andrea

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  3. Ich habe mich gerade köstlich amüsiert! Toll geschrieben, herrlich!! 😅
    Diese Drohnen gehen mir ebenfalls so auf den Keks, man hat das Gefühl verfolgt zu werden und die herrliche Stille ist hin.
    Ich war das letzte Mal mit meinem Mann Ende der 90er auf dem Brocken. Das war mittags, herrliches Wetter und kaum was los. Tja, so ändert sich das mit der Zeit leider 😞

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  4. Als Drohnenpilot kann ich ein Flugverbot im Nationalpark Harz bestätigen. Es gibt auf dem Brocken keine Ausnahme. Genau solche ignoranten Piloten sind es, die dafür sorgen unser Hobby immer weiter räumlich eingeschränkt wird. Habe für das Fliegen in Flugverbotszonen absolut kein Verständnis.

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