Mit Segelboot und Hund in Kroatien oder die Sache mit dem Vertrauen

Regen prasselt über mir auf das Deck, während ich in die Dunkelheit blicke. Fast wie im Dachzelt fühlt es sich in der engen Bugkabine an. Das Klappern der Seile und Masten und das leichte hin und her schaukeln erinnern mich daran, dass ich nicht auf einem Roadtrip, sondern auf einem Segeltörn bin. Ich will schauen, wo Bobby liegt. Schemenhaft kann ich die Bänke, den Kartentisch und den Küchentresen erkennen. Richtig gemütlich ist es im Inneren des kleinen Segelbootes. Hinter der Küche befindet sich die Heckkabine. Von dort höre ich ein gleichmäßiges Schnarchen. Unser Hund scheint mit seinem Schlafplatz zufrieden zu sein. Er hat allerdings auch deutlich mehr Platz als wir. Aber das kennen Wolfgang und ich ja nicht anders. Hauptsache Bobby geht es gut. Noch weiß er nicht, was auf ihn zukommt und ich bin beinahe genauso ahnungslos.

Abenteuer Segeln mit Hund: Wirklich eine gute Idee?

Gestern sind wir am Hafen von Pirovac in Kroatien angekommen. Lange hatten wir diese Reise geplant und doch ist alles neu und aufregend: meine erste Segelreise und Bobbys erste Segelreise. Wolfgang ist unser Skipper mit zwei Neulingen (und einer davon noch dazu ein Hund) an Bord. In der letzten Zeit hatte es viel geregnet. Im Norden von Kroatien und Italien gab es schwere Erdrutsche und Überschwemmungen. Aber wir scheinen Glück zu haben. Für die kommende Woche war eine Wetterbesserung vorhergesagt. Und tatsächlich: morgens als ich über den steilen Niedergang rauf an Deck steige (ich übe schon mal die Schiffersprache, normalerweise würde ich wohl „Aufgang“ sagen), glitzert das Meer in der Sonne.

Die Holzplanke, über die man vom Boot an Land geht, ist deutlich schräger als noch gestern Abend. Es scheint Ebbe und Flut zu geben. Zudem ist das Holz nass vom nächtlichen Regen. Ich frage mich, wie Bobby diese Steigung überwinden wird. Gestern wollte er direkt von der Kaimauer auf die ausgeklappte Badeplattform unseres Bootes springen. Der schmale Steg war ihm nicht geheuer. Aber ich bestand darauf, dass er drüber geht. Unkontrolliertes an und von Bord springen, wollte ich gar nicht erst einreißen lassen. Bobby hat zwar eine Schwimmweste, aber noch nie ist er bis jetzt geschwommen. Ein Sturz ins Wasser wäre eine Katastrophe (in meiner Vorstellung). Selbst wenn er schwimmen könnte / würde, hätte ich keine Ahnung, wie man ihn zwischen den Booten im Hafenbecken wieder ins Boot oder an Land hieven sollte. So ließ ich kein Ausweichen zu. Ganz vorsichtig setzte Bobby eine Pfote nach der anderen auf den Steg. Jeder Schritt wurde von Wolfgang und mir gefeiert. Unser Hund überwand sich. Ich weiß, er macht das nur für uns. Weil er uns vertraut. Dieses Vertrauen möchte ich nicht missbrauchen, indem ich ihm Dinge zumute, die ihn überfordern oder sogar in Gefahr bringen. Dinge, die er mitmacht, weil er uns folgt – egal wohin. Noch bin ich mir nicht sicher, ob dieser Segeltörn mit Bobby wirklich eine gute Idee ist.

Wolfgang dagegen ist sich sicher. Seitdem er seine Leidenschaft fürs Segeln entdeckt hat, war es sein Wunsch, auch mal mit Bobby (und mir) zu segeln. Ich konnte mir das nie vorstellen. Bobby, der früher Angst vor einer Boje hatte und bis heute noch jeden Kitesurfer als seinen erklärten Erzfeind betrachtet? Der die Sonne meidet und die Berge liebt? Der zu Hause 150 Quadratmeter und mindestens genauso viele Liegeflächen zur freien Auswahl hat? Bobby auf einem kleinen Segelboot? Mitten auf dem Wasser? Aber Wolfgang blieb dran. So oft es ging fuhren wir mit Bobby Boot (Motorboot, Tretboot, Paddelboot, SUP, …). In der Flensburger Förde segelte ich dann das erste Mal selbst und verstand nicht nur, was eine Halse und eine Wende sind, sondern auch was für ein tolles Gefühl es ist, den Wind in den Segeln zu spüren.

Ich war mit dem Segelfieber infiziert. Jetzt sind wir hier. Und heute soll es losgehen – für eine Woche mit Segelboot und Hund durch die kroatische Inselwelt.

Hafenkino in Pirovac und das erste Manöverbier

Ich nutze die frühe Morgenstunde und habe die Sanitäranlagen ganz für mich allein. Ein Hafen ist eigentlich nichts anderes als ein Campingplatz für Boote. Einen Unterschied gibt es. An den Damentoiletten muss man auch zu den Stoßzeiten nie Schlange stehen. Segeln scheint ein Männerding zu sein. Gestern, am Samstag (auch fürs Chartern von Booten der traditionelle Anreisetag), fanden sich die Grüppchen zusammen: alte Freunde, die sich gegenseitig auf den Rücken klopfend begrüßten und neue Segelbekannte, die sich erst mal vorsichtig beschnupperten. Nachdem die Boote mit dem Gepäck beladen und die Einweisungen durch die Vermieter erfolgt waren, ploppte und zischte es um uns herum – das erste Manöverbier wurde geöffnet. Ach, was solls. Mit manchen „Seglertraditionen“ sollte man nicht brechen. Wir machten es genauso.

Segelboot mit Hund: Hoch geht’s den Niedergang!

Als ich vom morgendlichen Duschen zurückkomme, erwacht so langsam der Hafen. Wasserkessel pfeifen und Kaffeeduft steigt mir in die Nase. Bobby steht unten in der Kajüte am Niedergang und schaut sehnsüchtig nach oben. Er traut sich nicht, die steile Leiter hochzusteigen. Später wird Wolfgang ein Bein von ihm nach dem anderen auf die Treppenstufen setzten, während er sich stocksteif macht und leise vor Anspannung winselt. Ich motiviere ihn von oben. Unser Hund kämpft mit sich. Ab der Mitte – alle Pfoten stehen mittlerweile auf den Stufen – gibt er sich einen Ruck und klettert selbständig das letzte Stück hoch. Juhu, geschafft! Was für ein Fest für uns alle.

Über den Steg geht er heute bereits mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte er das schon zigmal gemacht. Lässig stolziert er an den vielen Booten vorbei und erntet von allen Seiten freundliche Blicke. Warum überrascht es mich immer noch, wie souverän er mittlerweile mit neuen Situationen umgehen kann? Tief sitzen die Erinnerungen an längst vergangene Spießrutenläufe mit unserem panischen Hund – vorbei an „gefährlichen“ Menschen, Hunden, Plastiktüten, Lüftungen und vielem anderen mehr. Trotzdem wollten wir immer Reisen – auch und ganz besonders mit Bobby. Wir haben unsere Reisen auf ihn eingestellt. Berge statt Meer. Wanderwege statt Hundestrand. Dachzelt statt Hotel. Einsame Natur statt quirliger Urbanität. Oft hat uns Bobby dazu gezwungen, einfach mal stehen zu bleiben. Pläne zu ändern. Umwege zu gehen. Was für eine Bereicherung! Der Segeltörn ist ein neues Abenteuer für uns alle. Die Option, die ganze Sache abzubrechen, falls Bobby zu gestresst sein würde, ist mit eingeplant. Bis jetzt sieht es aber nicht danach aus, ganz im Gegenteil. Ich denke, auch ich kann langsam anfangen, mich zu entspannen 😉

Die erste Etappe: Insel Zut – immer Richtung Kornaten

Irgendwann legen wir tatsächlich ab. Die erste Etappe soll uns auf die Insel Zut führen. Zwanzig Seemeilen (knapp 40 Kilometer), die wir erst mal nur mit dem Motor zurücklegen wollen, um uns mit dem Boot vertraut zu machen. Ich übe „Anfahren“ und „Aufstoppen“, rückwärtsfahren und eine Pirouette drehen. Nach erfolgreichem Manöver „Mann“, bzw. „Boje über Bord“ ist ein Manöverbier fällig, während Bobby den Kurs im Blick behält: Immer der Nase nach. Als eine dunkle Wolkenwand mit Donnergrollen vom Festland aus näher rückt, verwerfen wir den geplanten Ankerstopp und geben Vollgas (knappe 8 Knoten) Richtung Sonne – Richtung Zut.

Die nächste große Herausforderung wartet in der Marina von Zut: Anlegen. Bestimmt über hundert Meter lang ist der Pier. Die Insel Zut, als letzte Station, bevor es in den kostenpflichtigen Nationalpark Kornati geht, ist beliebt bei Seglern. Heute stehen da zum Glück nur eine Handvoll Boote. Der Hafenmeister steht schon bereit. Während Wolfgang das Boot rückwärts Richtung Pier steuert, gehe ich meine Aufgaben noch mal gedanklich durch: Leinen rüber werfen, Muringleine annehmen und aus dem Wasser ziehen, gleichzeitig nach vorne gehen und festmachen. Dann geht alles ganz schnell. „Ziehen, ziehen, ziehen“ ruft der Hafenmeister und ich ziehe mit aller Kraft an der schweren, glitschigen Muringleine. Bobby beschwert sich lautstark von unten aus der Kabine weil er nicht dabei sein darf. Schwitzend versuche ich mich an den Knoten zu erinnern, mit dem die „Klampen belegt“ werden. Irgendwie wickele ich das dicke Seil um die Halterung. Hauptsache, es hält erst mal für den Moment. Unser erstes Anlegemanöver ist geglückt! Wir befreien Bobby, der vor dem steilen, für ihn alleine unüberwindbaren, Niedergang steht und immer noch vorwurfsvoll bellt. Wieder helfen wir ihm dabei, Schritt für Schritt nach oben zu klettern.

Wie nicht von dieser Welt: Nationalpark Kornaten

Außer der Marina gibt es nicht viel auf Zut. Kein Auto. Keinen Einwohner. Strom, zeitlich limitiert, nur aus Generatoren. Ein Restaurant mit riesiger Terrasse steht für den Ansturm von Booten in der Hochsaison bereit. Aber das Highlight soll der Blick vom höchsten Punkt der Insel sein. Dort wollen wir hin. Über einen steilen Pfad geht es nach oben. Stille umgibt uns.

Als wir den Bergrücken erreichen, öffnet sich der Blick weit über die Inselwelt der Kornaten. Beinahe wie auf einem anderen Planeten, erheben sich die unzähligen kargen Inselkegel aus dem Meer. Wir wissen gar nicht in welche Richtung wir als erstes und als nächstes schauen sollen, so fasziniert sind wir.

Bobby ist in seinem Element: Er liebt es von möglichst weit oben auf die Welt zu blicken. Schon immer wirkte er dabei konzentriert und gleichermaßen entspannt. Auf eine Art ganz bei sich. „Schön ist das hier“, sage ich. Bobby schaut mich an und Wolfgang nickt zustimmend. Ich bin froh, dass er nicht lockergelassen hat, mit seinem Wunsch nach einem gemeinsamen Segeltörn. Entgegen meinen Zweifeln darauf vertraut hat, dass das schon klappen wird. Glaube und Vertrauen versetzen Berge, heißt es. Vielleicht ist da was dran. Mir ist der Zweifel näher – ja, man könnte fast sagen: vertrauter als Vertrauen. Es gibt so Sätze im Leben, die man nicht vergisst. Etwas Spiritualität könnte mir hier und da helfen, sagte mir mal jemand, von der ich viel hielt. Und sie meinte damit keineswegs Dummgläubigkeit oder blinde Vertrauensseligkeit.

Meine Eltern vertrauten sicherheitshalber stets nur sich selbst. Als Kinder Krieg und Vertreibung erlebt, war es für sie wahrscheinlich schwer, so etwas wie Urvertrauen zu entwickeln. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Kopfmenschen. Jetzt, im Alter, funktioniert ihr Geist nicht mehr, wie gewohnt. Auch der Körper will nicht mehr dem Kopf gehorchen. Meine Eltern schaffen ihr Leben nicht mehr allein. Ich wünschte, sie könnten mir vertrauen und meine Hilfe annehmen. Sich einen Ruck geben, so wie Bobby am Niedergang, um dadurch vielleicht sogar noch ein paar Schritte selbst zu schaffen. Doch meine Hilfe erinnert sie zu sehr an ihr eigenes Unvermögen. An den Verlust ihrer Unabhängigkeit. Sie kapseln sich ab. Sie hadern. Sie zerbrechen an sich selbst. Und ich stehe hilflos daneben. Mein Vater war früher Pfarrer. „Hab‘ doch einfach mal ein wenig Gottvertrauen“, sagte ich letztens zu ihm. Ich, die mit 14 Jahren, direkt nach ihrer Konfirmation, aus der Kirche ausgetreten ist.

….

Meine Zweifel an dem Segeltörn habe ich auf jeden Fall schon am ersten Tag unserer Reise über Bord geworfen. Meine Crew macht es mir leicht, mich in Vertrauen zu üben. Und wer würde bei diesem Ausblick, fast wie nicht von dieser Welt, nicht auch ein wenig spirituell werden?!

Am nächsten Tag werden wir dann endlich die Segel setzen, das erste mal ankern und zu dritt das Dinghi (dieses winzig kleine und wackelige Beiboot) testen. Bobby wird mich ziemlich überraschen und ein paar Traumstrände und einen Lieblingsplatz werden wir auch noch ansteuern. Das alles und noch mehr gibt es im nächsten Teil meines Berichtes über unsere Reise mit Segelboot und Hund durch Kroatien. Also dran bleiben. Es lohnt sich bestimmt 😉

[Aktualisierung: Hier geht es zum zweiten Teil unserer Segelreise mit Hund in Kroatien]

Mit Segelboot und Hund durch die kroatische Inselwelt – unsere Route

Das ist in etwa unsere Route. Wir sind sie aber andersrum gefahren (Pirovac – Zut – Iz – und ab Bozava (wo wir zwei Übernachtungen gemacht haben) sind wir nicht über Biograd und Zadar oder alternativ Soline), sondern über den Hafen von Kukljica (Insel Ugljan) gefahren.


10 Gedanken zu “Mit Segelboot und Hund in Kroatien oder die Sache mit dem Vertrauen

  1. Ich merke es auch immer bei den Runden mit den Tierheim Hunden, wir beeinflussen die Tiere. Wenn ich schon hibbelig bin weil ich weiß dass der Hund gegebenenfalls intensiv auf einen vorbeigehenden Hund reagieren könnte hat es natürlich Einfluss auf den Hund. Bin ich ruhig und souverän kann der Hundes das meistens auch

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    1. Ja, die Hunde spüren sehr genau, in welcher Stimmung wir uns befinden und spiegeln das in ihrem Verhalten. Deswegen kann man auch so viel von ihnen lernen. Ich finde es toll, dass du mit den Hunden aus dem Tierheim Gassi gehst, für beide Seiten eine Win-win-Situation 😉 Liebe Grüße von Andrea

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  2. Oh, wie fein, dass ich direkt Zeit habe, den Bericht zu lesen und die Bilder anzuschauen! Vielen Dank für die Mühe, das sooo schön in Worte zu bringen! Mit Bobby seid ihr ein tolles Team! Meinetwegen kann die Fortsetzung sofort kommen und ganz laaang sein.
    Und noch ein ganz anderer Gedanke: Wie schade, dass du mit der Kirche bzw. einer Freundschaft mit Gott keine besseren Erfahrungen gemacht hast. Auch wenn ich im Konfi-Unterricht nicht so viel mitbekam, war die Konfirmation selbst mein persönliches Festmachen bei Gott. Und es hat schon über 40 Jahre gehalten, weil ER mich gehalten hat.

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    1. Vielen Dank, liebe Martina, für deine Gedanken zu meinem Beitrag. Ich hoffe, ich kann bald mit dem nächsten Teil der Reise nachlegen, damit du nicht zu lange warten musst 😉 Mein Kirchenaustritt hatte damals in erster Linie etwas mit der Institution zu zu tun und den Widersprüchen, die ich in dem Zusammenhang erlebte, nach dem Motto: „Wasser predigen und Wein trinken“, was sich auch für mich als Pfarrerstochter innerhalb meiner Familie widerspiegelte. Wie ich im Artikel habe anklingen lassen, ist mein Vater vermutlich selbst nicht wirklich ein gläubiger Mensch. Mittlerweile denke ich, dass Glaube, Spiritualität oder in diesem Sinne auch Gott einem helfen kann, gerade eben mit diesen Widersprüchlichkeiten in unserer Gesellschaft, in den Institutionen und allgemein im Leben, zurecht zu kommen. Für mich ist das dennoch eher eine theoretische Überlegung. Aber wie gesagt, ich übe ich mich in Vertrauen und Spiritualität 😉 Liebe Grüße von Andrea

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  3. Freue mich immer wenn neue Reiseberichte von euch und Bobby kommen. So schön zu lesen und wunderbare Fotos. Man fühlt sich immer mittendrin ….bin gespannt wie es weitergeht.

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  4. Neulich waren auch wir in Kroatien (Anfang August) wir haben die Tage da sehr genossen, nur das es den Hunden da schon ein wenig zu heiß war. Gewohnt haben wir in den Bergen, ungefähr 30 km von Rijeka entfernt! Dort hatten wir ein abgelegenes Ferienhaus wo die Vierbeiner sehr viel Freiheiten hatten, die sie so von zuhause nicht kennen. Und sogar Bärenspuren haben wir aufgespürt 🫣

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    1. Wow, das hört sich toll an: die Freiheit für die Vierbeiner und die beeindruckenden Naturerlebnisse. Aber genau wegen der Hitze meiden wir Kroatien, wie eigentlich ganz Südeuropa, in den Sommermonaten, was wir zum Glück auch zeitlich so einrichten können. Liebe Grüße von Andrea

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