Paris – ich fühl‘ dich.

Immer wieder höre ich, gerade unter jüngeren Menschen, den Satz: „Ich fühl‘ das.“ Ganz selbstverständlich und leicht klingt das. Wenn es bei mir um Gefühle geht, wird es meistens kompliziert. Wenn mir jemand sagt, ich solle doch einfach auf mein Bauchgefühl hören, dann legt sich meine Stirn in Falten. 

Nach Bobbys Tod im Juni diesen Jahres, haben sich manche getraut, zu fragen: „Wie geht es dir?“ Über den Tod und all das spricht man nicht gerne. Die Frage kostet Mut und ich freute mich über dieses Zeichen der Anteilnahme. Gleichzeitig hatte ich keine Antwort darauf. Das Leben ging weiter. Mit seinen Routinen. Mit seinem Alltag. Alles schien weiter zu funktionieren – auch ich. Als hätte sich nichts geändert. Dabei war alles anders – für mich.

Ich brauchte eine Luftveränderung. Wir fuhren nach Paris. Zwischen den Olympischen Spielen und den Paralympics gab es ein Zeitfenster von knapp drei Wochen. Das nutzen wir. Für eine gute Wochen ging es im Hochsommer mit dem Zug nach Paris. Eine Reise, die wir mit Hund nie gemacht hätten. Eine Reise, die nichts mit unseren Alltags- und Urlaubsgewohnheiten der letzten zehn Jahre zu tun hat. Wir hofften, die Lücke, die Bobby hinterlassen hatte, möglichst wenig zu spüren.

Paris zog uns in seinen Bann. Eine Stadt, die vor historischen Sehenswürdigkeiten, Kunst und Kultur nur so strotzt, dass einem fast der Atem stocken könnte. Und doch hat diese beeindruckende Kulisse beinahe etwas Beiläufiges, ist sie doch überall präsent, kaum dass man einen Fuß vor die Tür setzt.

Die Lage unseres Appartements erwies sich als nahezu perfekt. Von der U-Bahn-Station aus, vorbei am Café de Flore, wo angeblich schon Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir diskutierten und schrieben, ging es beim Luis Vuitton Shop links rein, vorbei bei Armani und Dior und dann waren wir auch schon fast da.

Und wie man es aus französischen Filmen kennt, verbarg sich hinter dem riesigen hölzernen Eingangstor ein sehr verschachtelter Hinterhof mit unzähligen Ein- und Aufgängen. Über ein prachtvolles Jugendstiltreppenhaus gelangten wir bis in die 6. Etage, in die zweite Dachetage. Ein schmaler, fensterloser Gang führte in unsere winzige Dachkammer, ein ehemaliges Dienstmädchenzimmer. Es war Mitte August. Von den Temperaturen her, hätten wir auch in einem Backofen wohnen können. Aber wir waren im 6. Arrondissement, mitten in St-Germain-des-Prés. Der Louvre beinahe Vis-a-Vis, Notre Dame in die eine und der Eiffelturm in die andere Richtung fußläufig erreichbar.

Wir ließen uns durch die Stadt treiben, durch das Quartier Latin und über die mittelalterlichen Stadtinseln mit Notre Dame und der Conciergerie, dem Gefängnis, wo Marie Antoinette auf ihre Hinrichtung wartete, spazierten wir weiter bis in das auf der anderen Seite der Seine gelegene Viertel Le Marais, eines der ältesten Stadtviertel von Paris mit seinen kleinen Gassen und bunten Märkten.

Gleich um die Ecke von unserem Appartement, im Jardin de Luxemburg sahen wir den Kindern zu, wie sie kleinen Segelbooten, die man dort ausleihen konnte, mit ihren Stecken Schwung verliehen und dann taten wir, was viele Pariserinnen und Pariser machen: uns auf zwei der unzähligen dort herumstehenden Stühle setzten, entspannen, lesen, beobachten, nicht tun.

Mit den grünen Velib- Fahrrädern, die es überall in Paris unkompliziert und günstig auszuleihen gibt, passierten wir den Eiffelturm, fuhren über den Champs-Élysées und vorbei am Arc de Triumph bis zu einem der großen Stadtwälder, dem Boie de Bologne.

Im Orsay Museum bewunderten wir insbesondere die Gemälde der Impressionisten. Viele auf den Bildern dargestellten Orte und Landschaften erkannten wir von unseren Reisen durch Frankreich, die wir gemeinsam mit Bobby gemacht haben. Auch wenn wir nie mit ihm nach Paris gefahren wären, fehlte er doch bei jedem Schritt.

In Montmartre fanden wir im Garten des Musée de Montmartre eine ruhige Oase, wo wir dem Gedränge in den Gassen des ehemaligen Künstlerviertels und heutigen Touristenmagneten, entkommen konnten. Und vom Turm der Basilika Sacré-Coeur lag uns Paris zu Füßen. Eine grandiose Stadt. Eine lebenswerte und tatsächlich auch sehr grüne Stadt.

Immer wieder landeten wir aber an der Seine. Wir saßen am Ufer, ein kleines Fläschchen Rotwein oder Champagner (man gönnt sich ja sonst nichts) und einen Snack aus dem Supermarkt im Gepäck. Dann beobachteten wir die vorüberziehenden Ausflugsboote, auf denen die Passagiere jedes Mal lauthals kreischten, wenn sie unter einer besonders niedrigen Brücke durchfuhren. Der Scherz des Kapitäns schien jedes Mal auf Neue aufzugehen.

Wenn die Sonne unterging, verfärbte sich der Himmel in bunte Pastelltöne, bis irgendwann nur noch die Ausflugsboote und die Brücken und die Stadt mir ihren vielen Lichtern leuchteten. Das Leben kann so schön sein. Und die Welt ist so vielfältig. Paris – ich fühle dich. Und ich fühle mich. Glücklich für den Moment und dennoch innerlich tieftraurig und sehr erschöpft.

Wieder zu Hause fand ich nicht mehr in meinen gewohnten Alltag hinein. Ohne Hund hätte ich eigentlich viel mehr Zeit haben müssen und doch war der Tag nicht lang genug, um alles zu schaffen. Alltägliches schien plötzlich viel anstrengender. Dennoch wollte ich mir kaum eine Pause gönnen. Im Sozial- und Gesundheitswesen tätig, zudem mit der Sorge um meine pflegebedürftigen Eltern beschäftigt, bedeutet es immer, dass es vermeintlich jemanden schlechter geht, wenn ich mich nicht kümmere. Ich wollte funktionieren. Alles im Griff behalten. Damit mir mein Leben nicht aus der Hand gleitet.

Irgendwann habe ich es geschehen lassen. Ich gab die Kontrolle ein Stück weit auf. Ja, ich fühlte es einfach: Meine Trauer um Bobbys Tod brauchte Raum. Den Schmerz zu verdrängen hat mich meine ganze Kraft gekostet. Ich akzeptierte, dass ich ein paar Dinge gerade nicht so perfekt bewältigen kann, wie das immer mein Anspruch war. Die Welt da draußen musste auch mal für ein paar Momente ohne mich auskommen. Ich ließ los und fand mich zuweilen in einem gewaltigen Strudel aus Gedanken und Gefühlen wieder, der mich unter die Wasseroberfläche zog, mir die Luft zum Atmen nahm, mich aber auch wieder nach oben spülte und ich mich mit der Strömung treiben lassen konnte. Mittlerweile sehe ich wieder Land am Horizont. Neuland. Ich spüre, dass ein paar Prioritätensetzungen aus meinem (Berufs-) Alltag (vielleicht sogar schon länger) nicht mehr zu mir passen. Das Leben nach Bobbys Tod ist nicht mehr das Gleiche wie vorher. Die Trauer hat mich überwältigt und tut es noch. Sie hat mich gezwungen, innezuhalten. Hinzuschauen. Auf meine Gefühle zu achten. Den Schmerz zulassen, um auch das Glück empfinden zu können. Und ich habe mir professionelle Unterstützung gesucht, das hilft.

Immer öfter spüre ich wieder Leichtigkeit und Zuversicht. Ich freue mich auf das, was kommt. Und ganz besonders darauf (ich kann es kaum erwarten, es zu erzählen!), dass schon in ein paar Tagen dieses kleine Kerlchen bei uns einziehen, und unser Leben gewaltig durcheinanderwirbeln wird …


23 Gedanken zu “Paris – ich fühl‘ dich.

  1. Wie schön, dass du immer mehr Zuversicht und Leichtigkeit spürst! Danke für deine Offenheit, auch was das Zulassen der Traurigkeit und das durchleben der schwierigen Momente angeht. Und ich freue mich sehr für euch, dass schon bald ein neuer vierbeiniger Begleiter in euer Leben kommt – so ein süßer Kerl 😊🧡

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  2. Liebe Andrea,

    danke, dass du uns nicht nur an deinen Reisen, sondern auch an deinen Gedanken teilhaben lässt und auch offen darüber sprichst, dass du dir Hilfe geholt hast. Ich glaube, das ermutigt viele Menschen, die in ähnlichen Situationen stecken. Ich freue mich, dass du wieder öfter Zuversicht und Leichtigkeit spürst und dass bald wieder ein kleines Fellbüschel bei euch einzieht. So süß der Kleine.

    Ich weiß jetzt schon, dass er ein traumhaftes Hundesleben haben wird 😉 und Bobby guckt grinsend aus dem Hundehimmel zu.

    Wir waren vor einigen Jahren in Paris und deine Fotos und Berichte haben viele schöne Erinnerungen geweckt. Danke dafür ❤

    Liebe Grüße

    Silvia

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    1. Liebe Silvia, danke für deinen Kommentar. Ich fand es auch wichtig, zu erwähnen, dass ich mir Hilfe geholt habe, wobei ich ein bis zwei mal hin- und herüberlegt habe, ob ich das öffentlich mache. Irgendwie will man doch (zumindest nach außen) immer alles selbst im Griff haben. Dabei gibt es vielerorts sehr gute (Krisen-) Beratungsstellen, wo man sogar zeitnah Termine bekommt. Auf jeden Fall bestärkt mich dein Feedback, mich weiterhin zu trauen, auch persönlichere Gedanken zu teilen. Und ja, der Kleine ist wirklich sehr süß und wir freuen uns riesig auf das Leben mit ihm!

      Liebe Grüße von Andrea

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  3. Ich freue mich für Euch, dass ihr bald wieder zu dritt durchs Leben gehen werdet. Da kommt die Freude und Leichtigkeit im Alltag, auf Ausflügen und auf den Reisen bestimmt wieder.

    Ein schöner Bericht von Paris, aber ich freue mich schon wieder auf die Mensch-Hund-Unternehmungen 🙂 und deren Geschichten.

    Alles andere wurde bereits

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  4. Liebe Andrea,

    ich kann deinen Bericht sehr gut nachvollziehen. Und Paris ist immer eine Reise wert und war für dich anscheinend genau das Richtige!

    Ich kann deine Gefühle und Gedanken sehr gut nachvollziehen, da ich vor 6 Wochen meinen lieben Ompi gehen lassen musste. Es kam ganz plötzlich und war furchtbar ( er war erst 10 ), aber ich wußte auch, dass es weitergehen muss und wird.

    Ich bin zwar nicht nach Paris gefahren, aber ich konnte trauern und mir Gedanken machen.

    Da es bei mir gerade zeitlich perfekt passt, ist am Wochenende ein Fellkind eingezogen! Sie wird ihn nicht ersetzen, aber bringt die Freude, die uns ein Hund jeden Tag gibt!

    Ich wünsche euch eine tolle Zeit mit dem Kerlchen! Und viel Spass mit der wieder gefundenen Leichtigkeit!

    Liebe Grüße

    Brigitta

    PS: Ich hatte vergessen wie anstrengend Welpen sind, aber es ist jede Minute verpasster Schlaf wert!

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    1. Danke liebe Brigitta, für deine guten Wünsche! Es tut mir sehr leid, dass du deinen Ompi gehen lassen musstest. Bobby war ja auch erst 10 und es kam auch ganz überraschend. Ich fühle sehr mit dir. Gut, dass du trauern konntest und dass nun wieder ein Hund dein Leben bereichert! Ganz herzliche Grüße von Andrea

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  5. Ganz vielen Dank für deine offenen Worte und den Bericht! Und für die kleine Fellnase freue ich mich sehr, dass sie bei euch zuhause sein darf! Vielleicht der allerbeste Therapeut für dich, dass die Trauer um Bobby ganz langsam heilen kann und die schönen Erinnerungen diesen Platz in deinem Herzen einnehmen. Gott segne und behüte euch! Bettina

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  6. Es ist schwer, wenn zwei oder vierbeinige Partner aus unserem Leben verschwindet. Mein Partner ist nun schon über zwei Jahre tot, aber es gibt noch immer Momente… Das Wissen, dass ich in den nächsten Jahren auch die Kater verlieren werde, belastet mich schon ein wenig. Ich finde aber, ihr habt es genau richtig gemacht. Die Bilder aus Paris sind traumhaft. Grundsätzlich könnte ich mir Paris auch vorstellen. Ich habe aber immer Schwierigkeiten in Länder zu reisen, dessen Sprache ich nicht spreche. Und die Franzosen sind verschriehen dafür, dass sie nicht gerne Englisch als Kommunikation nutzen.

    Ich finde es gut, dass ihr euch Zeit gelassen habt, aber jetzt für euch eine Entscheidung gefunden habt, dass die neue Fell Nase bei euch einziehen kann. Ist es die selbe Rasse wie Bobby?

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    1. Dass du deinen Partner verloren hast, tut mir sehr leid! Einen geliebten Menschen zu verlieren ist noch mal ungleich schlimmer und existenzieller als ein vierbeiniges Familienmitglied.

      Paris ist wirklich traumhaft. Was die Sprache angeht, da gibt es ja Übersetzungs-Apps und zudem kommt man mittlerweile sogar in Frankreich mit Englisch gut zurecht 😉

      Liebe Grüße von Andrea

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  7. Ich lese es erst jetzt, Bobby wird nicht mehr dabei sein. Deine Trauer um den Gefährten kann ich gut verstehen. Es ging mir auch einmal so. Der Kleine wird neue Freude bringen, das wünsche ich Euch jedenfalls.

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  8. Dein Bericht über Paris hat mir sehr gefallen. Ich war Anfang der 1990er das letzte Mal dort und war jedesmal sehr beeindruckt. Paris kann man tatsächlich eher fühlen als beschreiben. So freut es mich umso mehr, dass Du einen Zugang zu Dir und Deinen Gefühlen gefunden hast. Du den Mut hattest, genauer hinzuschauen, zu akzeptieren und dann loszulassen und zu verändern.
    Dieser süße Vierbeiner wird Euch sicherlich bald sehr viel Glück und Freude bringen!! VG Simone

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    1. Ja, Paris berührt des Herz. Das letzte Jahr war sehr intensiv und auf seine Art heilsam. Und Paris ist ein wichtiger Teil davon. Ich erinnere mich oft und gerne an die vielen schönen Momente zurück. Nun wirbelt aber seit einem halben Jahr der kleine Pablo durch unser Leben und er macht uns richtig viel Spaß 🙂 Danke für deine lieben Wünsche! Andrea

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  9. Hallo Andrea,

    danke für die offenen Worte und natürlich für diesen wunderbaren Reisebericht.
    Natürlich habe ich bis zu Ende gelesen und mich unfassbar gefreut, dass ihr wieder einen Vierbeiner in euer Leben holt.

    Nun frage ich mich natürlich …. wie läuft es denn so bisher?

    Liebe Grüße
    Ivonne

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