Die derzeitigen Abstands-, Kontakt-, und sonstigen Verhaltensregeln hätte Bobby für sich nicht besser formulieren können. Menschenmengen sowieso, aber auch größere Ansammlungen von Menschen, die sich laut, unberechenbar oder gar chaotisch (man könnte auch sagen, einfach ausgelassen und fröhlich) verhalten, waren für Bobby schon immer ein Graus. Kindergartengruppen sind für ihn tolerabel, solange sie sich geordnet und in Zweierreihen im gleichmäßigen Tempo fortbewegen. Wehe, es bricht ein Kind aus, dann zeigt Bobby seinen Unmut lautstark. Meist reiht sich das Kind dann schnell wieder ein noch bevor ein Erzieher etwas hätte sagen müssen. So spazieren wir in diesen Tagen entspannt wie selten durch die städtischen Parks, vorbei an geschlossenen Spiel- und Sportplätzen, um die wir sonst einen weiten Bogen machen mussten. Keiner kommt Bobby zu nahe („Na, wer bist du denn Hübsches?“). Wo wir früher böse Blicke ernteten („Haben die ihren Hund denn nicht im Griff?“) schaut man nun freundlich oder gar sehnsuchtsvoll aus der Distanz zu uns rüber. („Ach wie schön muss es sein, gerade in diesen Zeiten immer einen Freund ein seiner Seite zu haben.“) „Ja Bobby“, sage ich dann, „Corona stellt die Welt auf den Kopf.“


Das kleine Familienglück in Zeiten von Corona
Immer wieder denke ich darüber nach, was da gerade „auf dem Kopf“ steht. Wie ernst die Lage ist, wird mir besonders bewusst, wenn ich mitbekomme, wie hart die Corona Pandemie nicht nur Italien oder Spanien, sondern insbesondere die Länder auf der Welt, die eh schon von Armut oder Krieg gebeutelt waren, trifft. Angesichts dessen wundere ich mich manchmal über Diskussionen („ich weiß gar nicht mehr, was ich darf und was nicht“) zu den Auflagen hierzulande, wie z. B. Kontakte und Familienbesuche so gering wie möglich zu halten oder Ausflüge und Freizeitfahrten weitgehend zu unterlassen. Letztens hat irgendeine Polizeidienststelle auf Facebook (so oder so ähnlich) gepostet: „Wir können Ihnen nicht sagen, was genau alles verboten und erlaubt ist, aber Sie können selbst entscheiden, was unter den derzeitigen Umständen verantwortbar ist.“ Sehr weise und gleichzeitig mutig fand ich diese Aussage einer Exekutive. Oder war es etwa Fake?
Auch ich hadere fast jeden Tag darüber, was verantwortbar ist und was nicht. Und wenn ich draußen unterwegs eine Polizeistreife sehe, dann neige ich dazu, mich umgehend ertappt zu fühlen. Obrigkeitshörigkeit wurde mir nicht in die Wiege gelegt. Je älter ich werde, desto mehr erkenne ich das an meinen Eltern. Ich musste den beiden ganz schön ins Gewissen reden, nicht mehr selbst einkaufen zu gehen. („Ach, was soll das? An irgendetwas sterben wir doch sowieso.“)
Mittlerweile lassen sie mich gerne für sie einkaufen. Und zwar deswegen, weil dann, einmal in der Woche, nachdem ich Ihnen die Einkäufe vor die Tür gestellt habe, unser kleiner, geheimer, konspirativer Spaziergang stattfindet. Eigentlich ist es Bobby, der sich mit meinen Eltern trifft. Am vorher vereinbarten Ort wartet er auf die beiden.
Die Freude auf allen Seiten beim Zusammentreffen ist zum Dahinschmelzen. Ich beobachte von Weitem wie meine Mutter ein Leckerchen auspackt und höre sie mit hoher Stimme ganz aufgeregt „sitz, sitz“ rufen, während Bobby schon längst erwartungsvoll vor ihr sitzt. Dann begrüßt er meinen Vater. Da geht es stiller zu. Bobby stupst ihn an der Hand. Er wünscht seine Streicheleinheiten, die er natürlich erhält. Es folgt ein kurzes Zwiegespräch. Bobby hört aufmerksam zu. „Er versteht jedes Wort“, ist sich mein Vater sicher.
Spaziergang mit Nervenkitzel
In zwei Gruppen (meine Eltern mit Bobby und ich mit großem Abstand hinterher) machen wir unseren immer gleichen Spaziergang. Dabei nehmen wir nicht die offiziellen Spazierwege, sondern gehen quer über die Wiesen, hinter den Bäumen und Büschen entlang, nicht einsehbar von den Hauptwegen. Denn auf denen patrouilliert derzeit auch schon mal die Polizei. In Niedersachsen dürften wir sogar als Verwandte erster Linie zusammen spazieren gehen. Aber da ist ja noch die Leinenpflicht zur Brut- und Setzzeit seit dem 1. April. Und ich bin mir gar nicht sicher, ob das Spazierengehen mit Hund dort grundsätzlich überhaupt erlaubt ist. Es handelt sich um ein weitläufiges Diskgolfgelände, wo auch zu Nicht-Corona-Zeiten nur ganz selten jemand spielt. Meinen Eltern ist das alles egal. Sie lieben diese Spaziergänge mit Bobby auf den gut begehbaren Wiesenwegen über die sanften Hügel. Ich höre sie ausgelassen lachen und mit Bobby reden, während ich die Büsche und die dahinter liegenden Wege scanne. Ich und höre auf jedes Geräusch. Nähert sich da etwa ein Polizeiauto? Immer wieder rufe ich Bobby heran, um ihn anzuleinen. Ich bin am Schwitzen und meine Eltern haben einen Heidenspaß daran, sich über die vermeintlich in den Büschen lauernden Ordnungshüter lustig zu machen.
Ansonsten habe ich seit nun fast vier Wochen niemanden privat getroffen, auch meinen Bruder nicht. Er gehört zu denen, die man derzeit als „Held „bezeichnet. Er ist in der ambulanten Krankenpflege beschäftigt. Wir wollen kein Risiko eingehen. Die Menschen, die er versorgt sind auf ihn angewiesen, wie schon vor der Corona Pandemie. Und die meisten Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, machen ihren Job mit großer Verantwortung, wie auch schon immer. Ich bin ebenfalls im Sozial- und Gesundheitsbereich tätig, allerdings eher vom Schreibtisch aus. Ich finde es gut, dass man derzeit sieht, was manche Berufsgruppen leisten. Und auch die Schwachstellen unserer Gesellschaft zeigen sich gerade deutlicher als sonst. Ob man sich nach der Krise daran erinnert?
„Always look on the bright side of life“
Auch mit meinem Bruder ist in den nächsten Tagen ein „konspiratives Treffen“ geplant. Ich denke immer wieder daran, wie oft wir uns schon wesentlich länger als nur vier Wochen nicht gesehen haben, z.B. als er auf Reisen war, mit dem Fahrrad durch Afrika oder auf dem Landweg nach Nepal. Aber das fühlte sich irgendwie anders an. Da stand halt die übrige Welt nicht Kopf. Oder vielleicht doch? Vieles was ich gerade (in den Nachrichten) sehe, macht mir Angst. Aber auch das gelang mir schon vor der Corona-Krise, sogar ohne den Fernseher einzuschalten. Dazu musste ich manchmal nur auf die Straße gehen oder anfangen, über gewisse Dinge nachzudenken.
Gestern Abend bin ich natürlich #zuhausegeblieben 😉 und es gab „Das Leben des Brian“ im Fernsehen. Schon ewig hatte ich diesen Film nicht mehr gesehen. Nun kam er gerade richtig. Auch wenn ich den Song „Always look on the bright side of life“ lange Zeit nicht mehr hören konnte, gestern habe ich mitgepfiffen und mitgesungen:
„… life´s a piece of shit, when you look at it, life´s a laugh and death´s a joke, it´s true …“
Als Bobby vor mir stand und mich verstört anschaute, zwinkerte ich ihm beschwingt zu. Darauf legte er sich wieder hin, um kurz darauf zufrieden zu schnarchen. Wahrscheinlich träumte er von seiner idealen Welt in bester Ordnung, in der alle Menschen brav in Reih und Glied gehen und er stöbern, rennen und bellen kann so viel er will.
Sowas in der Art machen wir mit unsrem Nachbarn. ER hat eine Hündin und wir finden uns oft zuuufällig auf den selben Wegen, nach Feierabend auf einen kleinen Gang. Ich hoffe man erinnert sich auch noch an die Helden wenn es wieder „normal“ läuft.
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Sehr schön! Zum Glück gibt es für Hunde noch kein Kontaktverbot 😉 Liebe Grüße von Andrea und Bobby
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Sehr schön geschrieben , da finde ich / wir uns wieder 😉 , was darf , was “ darf “ nicht , was soll , was soll nicht ….. Fragen über Fragen , wir halten es genauso wie hier beschrieben
Bleibt gesund und liebe Grüße senden Sylvie & die Border-Bande
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