Wer so oft im Harz unterwegs ist wie ich, müsste eigentlich keine Schwierigkeiten haben, eine für jede Gelegenheit passende Wanderung aus dem Ärmel zu schütteln – könnte man annehmen. Aber dem ist nicht so. Ich kenne zwar viele der besonders schönen Orte im Harz aber gleichzeitig auch die Durststrecken, die langweiligen oder die besonders anstrengenden Passagen, die es auf fast jeder Tour eben auch gibt. Hinzu kommt, dass ich nicht gerne zweimal oder gar noch häufiger die gleiche Wanderung gehe und dass ich mich grundsätzlich sowieso schlecht entscheiden kann.
Welche Stempelstelle darf es denn heute sein?
Harzer Wanderkaiser sind wir bereits. Bobby (gemeinsam mit mir) und Wolfgang haben alle 222 Stempelstellen der Harzer Wandernadel erwandert. Ganz ohne Stempelpass gehen wir seitdem trotzdem nicht durch den Harz. Es gibt diverse Begleithefte zu spezifischen Themen, wie z.B. Harzer Grenzweg, Goethe im Harz, Harzer Hexen-Stieg, Harzer Geschichtsorte „Burgen und Schlösser“, Harzer Steiger, Lutherweg oder Harzer Klosterwanderweg und es werden immer wieder neue Hefte herausgebracht, so dass das Stempelsammeln endlos weitergehen kann.

Um den Entscheidungsprozess nach einer geeigneten Wanderung etwas abzukürzen, praktizieren wir hin und wieder eine Art Stempellotterie: Wolfgang hält mir alle Stempelhefte der Harzer Wandernadel aufgefächert vor die Nase, ich ziehe blind eines heraus und dann blättere ich durch bis Wolfgang „Stopp“ sagt. Und genau auf diese Art und Weise fiel am letzten Wochenende die Wahl auf den Brocken. Niemals hätte ich an einem Wochenende bei milden Herbstwetter und strahlendem Sonnenschein den höchsten (und beliebtesten) Berg Norddeutschlands als Wanderziel ausgewählt weil es (nicht nur an solchen Tagen) einfach viel zu voll dort oben ist und ich es rund um den Brocken viel schöner finde als auf dem Brocken selbst.

Das Beste aus dem Lockdown machen oder zwei gute Gründe für den Brocken
Ich war kurz davor, das Stempellottoglück erneut herauszufordern. Dann las ich, dass wegen des Lockdowns die Harzer Schmalspurbahn den gesamten November nicht auf den Brocken fährt und aus dem gleichen Grund auch die gruselige Gastronomie dort oben geschlossen hätte. Zwei gute Gründe für den Brocken und vielleicht die (hoffentlich einmalige?!) Chance, sich an einem Wochenende bei bestem Wetter auf dem Brockenplateau nicht gegenseitig auf die Füße zu treten. Also los, lass uns das Beste aus dem Lockdown machen und einfach mal auf den Brocken gehen! Da ich dennoch skeptisch war, dass mir der Brocken als Tageshighlight reichen würde, strickte ich eine Rundwanderung von Torfhaus über den Brocken zum Scharfenstein, einem Aussichtsberg an der Eckertalsperre, den ich immer schon mal ansteuern wollte, zusammen. Dann verloren wir an diesem Samstagmorgen nicht mehr viel Zeit, sondern starteten früh Richtung Harz. Im November sind die Tage kurz und wir hatten knapp 25 Kilometer mit einigen Höhenmetern vor uns.




Rundwanderung von Torfhaus über Brocken und Scharfenstein
Ich bin tatsächlich vorher noch nie von Torfhaus über den Goetheweg auf den Brocken gegangen und ich war erstaunt, wie abwechslungsreich die knapp 10 Kilometer waren. Die Straße, über die man aus fast jeder Richtung die letzten Meter (teilweise Kilometer, je nachdem von wo man kommt) gehen muss, ist ätzend – keine Frage. Aber das Wetter und die Sicht waren einfach so schön, dass wir fast darüber hinwegsehen konnten.


Brockengipfel
Als wir uns dem Gipfel näherten, kam uns die mir vom Brocken so bekannte Duftwolke von Frittenfett und / oder Brühwurst entgegen. Der Brockenwirt schien (wahrscheinlich eingeschränkt) doch auf zu haben. Wir kümmerten uns nicht weiter darum, sondern gingen erst mal auf den Brockengipfel, von dem ich nie richtig weiß, wo er eigentlich genau ist.


Normalerweise hätten wir uns sofort auf den Brockenrundweg begeben. Dieser Panoramaweg führt einmal rund um das Brockenplateau. Man hat grandiose Blicke in alle Richtungen und erstaunlicherweise ist man dort selbst an Tagen, wo der Gipfel aus allen Nähten platzt, fast alleine unterwegs.

Aber an diesem Tag war der Brocken ja nur eine Zwischenstation. Wir hatten den Großteil unserer Wanderung noch vor uns. So machten wir einen Abstecher über das Nationalparkbesucherzentrum, wo auch der Stempelkasten der Harzer Wandernadel steht und kehrten dem Brocken den Rücken.

Abstieg vom Brocken über den Heinrich-Heine-Weg
Über den Teufelsstieg, der hier oben gemeinsam mit dem Heinrich-Heine-Weg an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze über den betonierten Kolonnenweg geführt wird, gingen wir steil bergab. Die Blicke in die Landschaft waren weit und verloren sich am Horizont im Dunst. „Fast, als würde man auf das Meer blicken“, dachte ich. „Schön“, sagte Wolfgang.

Bobby hatte allerdings zu kämpfen. Es waren erstaunlich wenige Mountainbiker unterwegs, aber doch ein paar zu viel für Bobbys Geschmack. Bei den ersten 5 bis 10 Begegnungen schaute er mich noch fragend an und ich beschwichtigte: „Die dürfen das, Bobby, kein Problem.“ Er versuchte nicht hinzuschauen und sich mit schnüffeln am Wegesrand abzulenken. Irgendwann war dann das Maß an Mountainbikern für ihn erreicht. Er winselte und bellte bei jedem, der uns überholte. Aber wir hatten unser nächstes Zwischenziel schon vor Augen: Den Scharfenstein, nicht weit von der Eckertalsperre. Dort würden wir dann die viel begangenen und befahrenen Hauptwege zum Brocken verlassen.

Gefangen genommen vom Scharfenstein
Hinter der Rangerstation Scharfenstein bogen wir in den kleinen Pfad zum Scharfenstein ab. Hier war der Wald dunkel und fast ein wenig verwunschen, bis wir kurze Zeit später wieder die Sonne und gleichzeitig den Gipfel der kleinen Anhöhe erreichten. Wir wurden sofort gefangen genommen von diesem Ort. Mit Blick auf den Brocken ließen wir uns die Sonne ins Gesicht scheinen, packten unsere mitgebrachte Jause aus und genossen einfach die Stille.

Dann wurden unsere Wege einsamer aber auch etwas langweiliger. 9 Kilometer waren zum Torfhaus ausgeschildert und die führten auf langen Forstwegen durch den Wald. Begleitet von kleinen Bachläufen ging es dabei stetig leicht bergauf. Über eine Holzbrücke tief unten in einem Tal überquerten wir die Ecker, um dann die letzten Kilometer zum Torfhaus aufzusteigen.


Es fing bereits an zu dämmern und wir legten einen Zahn zu. Als wir Torfhaus erreichten, waren die Beine mächtig schwer und wir sahen gerade noch, wie die Sonne mit ihren letzten warmen Strahlen den Brocken beleuchtete.


Und immer wieder Harz, auch mit Brocken …
Es war alles dabei an diesem Tag im Harz: zähe Durststrecken genauso wie die Momente des faszinierten Innehaltens beim Blick in die wunderbare Landschaft. Einige Passagen unserer Tour kannte ich bereits, andere waren neu. Aber jeder Meter war eine Entdeckung und ich möchte nichts davon missen – auch den Brocken nicht, der auf seine ganz eigene Art immer ein besonderes Erlebnis ist. Ich bin gespannt, wo uns die nächste Stempellotterie hinführen wird – (trotz guter Gründe für den Brocken) hoffentlich bald wieder ohne Lockdown!
Hier geht es zu meiner Komoot-Aufzeichnung: Rundwanderung über den Brocken und Scharfenstein (anmelden ist nicht nötig, einfach runterscrollen)
Noch mehr Wanderungen zum Brocken auf meinem Blog:
Von Oderbrück auf den Brocken (Winterwanderung): Winterwonderland am Brocken
Von Wernigerode über den Höllenstieg auf den Brocken (2-Tages Tour): Einmal durch die Hölle auf den Brocken – aber bitte mit Rückfahrschein!
Von Schierke aus auf den Brocken (mein erstes Mal Harz und mein erster öffentlicher Bericht auf diesem Blog): Schierke – Das St. Moritz des Nordens mit Brocken
Eine meiner Lieblingsrunden im Harz von Ilseburg auf dem Heinrich-Heine-Weg NICHT auf den Brocken: Ilsetal und Ferdinandsstein [Lieblingsrunden im Harz]
Meine Lieblingstour ging vor Jahren von Ilsenburg den Heine-Weg durchs Ilsetal hinauf zum Brocken und dann nach Wernigerode zurück. Immer im Spätherbst, dann hatte man den Wechsel vom Herbst zum Schneewinter in 3 Stunden und bei dem Wetter war man fast allein oben 😉. Und das schönste Stück war dann immer von der Hermannsklippe zum Brocken auf der ehemaligen Grenzstraße. Der Brocken ist immer ne Tour wert. 🙂👍
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Oh ja, der Heinrich-Heine-Weg ist wirklich wunderschön. Ich bin ihn noch nie im Ganzen auf den Brocken gegangen, immer nur von Ilsenburg bis zur Stempelsbuche, um dann Richtung Zeterklippe, Ferdinandsstein, Plesseburg, etc. abzubiegen. Dieses mal sind wir ja dann den Heinrich-Heine-Weg vom Brocken aus über den Grenzweg bis zur Hermannsklippe (und dann weiter bis zum Scharfenstein) bergab gegangen. Die Aussicht auf diesem Teilstück ist wirklich phänomenal. Und ja, der Brocken ist in der Tat immer eine Tour wert. Obwohl ich diesem Gipfel etwas zwiegespalten gegenüberstehe, zieht es mich immer wieder da hoch – und ganz bestimmt auch noch mal im Spätherbst / Winter 😉
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Schöne Runde!
Die Touren im Hochharz laufen wir dann in ein paar Jahren mal nach 🙂
Ist die Frage, ob es dann auch so schön leer sein wird.
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Das freut mich aber, dass ihr vor habt, in ein paar Jahren 😉 in den Harz zu reisen! Und ich denke, auch dann wird es (etwas Abseits vom Brocken) bestimmt noch genug einsame Pfade geben. Liebe Grüße!
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