Slow Travel tut weh – und wie Laos mir den Spiegel vorgehalten hat

Slow Travel – inspiriert durch das gleichnamige Buch von Dan Kieran ruft 1 THING TO DO zur Blogparade auf. Da muss ich einfach mit machen!

Reisen ist tödlich für Vorurteile! (Marc Twain 1835 – 1910)

„Das ist alleine viel zu gefährlich. Da kann man doch nicht einfach so hinreisen. Da wird man ständig angebettelt und alle wollen nur an mein Geld. Und die Sprache spreche ich auch nicht, wie soll ich mich da alleine zurechtfinden?“ Das höre ich immer wieder Menschen sagen, wenn es um das Individualreisen in Länder mit fremden Kulturen geht, die möglicherweise auch ärmer sind, als das was wir gewohnt sind, oder wo es irgendwelche Konflikte gibt, die in den Nachrichten aufgeschnappt wurden.

Aber die Welt ist durch die vielen Billig-Fluglinien scheinbar kleiner geworden und ferne, exotische Ziele mit Sonnengarantie und schönen Fotomotiven passen nun auch in den Jahresurlaub. Die Konsequenz:  All-inklusiv-Hotels und abgegrenzte Strandabschnitte mit Wachpersonal, Folklore am Abend mit landestypischen Buffet, Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten im klimatisierten Bus und deutscher Reiseleitung: Reisen wie ein Schaufensterbummel. Das bereiste Land als Auslage, man kann in Ruhe aus dem Sortiment aussuchen, aber auch einfach vorbei gehen. Reisen als Konsum, die Perspektive auf Land und Leute von oben herab, aus sicherer Entfernung. Die eigene Werte und Vorstellungen müssen nicht in Frage gestellt werden. Einmal um die halbe Weltkugel gereist, aber die eigene kleine Welt nicht verlassen. Was bleibt sind Erinnerungsfotos der „places to be“, vom reichgedeckten Buffet im Hotel und ein handgewebtes Tuch aus …. wo waren wir noch mal? Afrika… Türkei…??

„Blick auf die Welt“ vom Baiyoke Tower in Bangkok

Nichts für mich! Ich brauche die Überraschung, das Unvorhersehbare! Reisen auf Augenhöhe – das Fremde an mich heranlassen – unvoreingenommen – offen – angreifbar! Das entspricht meiner Vorstellung von Leben, das bin ich und so will ich reisen!

Und dann kam Laos …

Handarbeit im Tabakfeld vor den in Laos so typischen Karstfelsen

Es ist einige Jahre her, und während dieser Reise sind meine ersten Blog-Artikel entstanden.  Das Ziel war Thailand und Laos.  Nach zweitägigem Flug, kurzem Aufenthalt in Bangkok, Weiterreise an die thailändische Grenze in den wunderbaren Ort Nong Khai, von dort aus über die Grenze nach Laos – Vientiane – die verschlafene und extrem charmante Hauptstadt von Laos. Alles lief perfekt, ich fühlte mich schon im „Reise-flow“ angekommen, offen für alles was passiert, nichts als dem Augenblick verpflichtet.

meine ersten Aufzeichnungen für den Blog

Ein paar Tage später landeten wir in Ban Nahin, einem verstaubten kleinen Ort im Norden von Laos mit einer Attraktion in der Nähe: die Thom Kong Lo Höhle.

Ban Nahin
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Kinder imitieren das fotografieren

Wir gingen zu Fuß über einen Feldweg parallel zur Straße in Richtung der im Reiseführer erwähnten Touristeninformation. Auf der Straße ging ein Mann mit einem grauen Anzug und einem Namensschild am Jacket. Er sah irgendwie seltsam formell aus. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie er genau unser Tempo hielt und immer wieder zu uns rüber schaute. War er von irgendeinem Reiseveranstalter? Wollte er uns eine Tour verkaufen? Oder ist er von irgend einer Behörde? Machten wir etwas falsch?  Oder will er uns gar durch das Vortäuschen einer offiziellen Person mit einem billigen Taschendieb-Trick unserer Reisekasse berauben? Als ich ein weiteres Mal, scheinbar nicht unauffällig genug zu ihm hin schaute, winkte er. Ich lächelte verlegen. Als ich das nächste Mal schaute, war er auf einmal neben uns und sagte: „Hello“. Ich sagte auch „Hello“ und er ging neben uns weiter. Er fragte: „How are you?“ Ich: „Fine, and you?“ Dann fing er an zu erzählen, dass er hier als Ingenieur arbeitet auf der nahe gelegenen Baustelle. Es wird ein großes Kraftwerk gebaut, an die 5000 Arbeiter sind dort beschäftigt. Er ist auf dem Heimweg.

Innerlich wurde ich ganz klein und schämte mich.

Von wegen, offen für die Welt und auf Augenhöhe! Wie komme ich dazu zu denken, dass ein Mann der freundlich zu uns rüber schaut, etwas im Schilde führt oder überhaupt irgend etwas anderes will, als einfach nur Freundlichkeit zu zeigen? Und irgendwie fing hier die Reise erst richtig an. Hier wurde mir meine eigene Kleingeistigkeit bewusst und plötzlich war mein Blick ein anderer.  Meine Seele öffnete sich und ich war dankbar für diesen Augenblick!

Der Mekong

Und Laos bescherte mir viele weitere solcher Momente. Gleich danach in der „Touristeninfo“:  ein Raum, ein Tisch und ein Mann, der es unglaublich lustig fand, wie wir ihm mit unserem Reiseführer in der Hand erklären wollten, welche Touren wir geplant haben. Wie kommen wir darauf, dass man sich in einer Toristeninformation über Reiserouten und Busfahrpläne informieren sollte?  Nachdem wir einfach mitlachten und und einfach da waren und nichts mehr erwarteten, schrieb er uns Zeitpunkt und Ort für die Abfahrt des Songtheos (offener Pritschenwagen zur Personenbeförderung) für unseren Ausflug mit Guide in den Phou Hin Boun Nationalpark mit besagter Höhle. Er nahm das Geld in Empfang, eine festgelegte Nationalparksgebühr, kein Feilschen, kein Verhandeln, nur Lachen.

Abfahrt am Morgen mit dem Songtheo

Slow Travel: Laos mach es einem leicht.

Keine Erwartung wird erfüllt, einfach sein, nicht denken! Wenn man in ein Geschäft geht, häufig einfach ein Tisch unter einem Wohnhaus wo ein paar Produkte angeboten werden, wundert sich niemand, wenn man davor herumsteht oder sich dazu setzt. Kann ja sein, dass man einfach nur ein wenig am Familienleben teilhaben möchte, wer weiß das schon? Etwas kaufen? Gehört zu eine Möglichkeiten, muss aber nicht zwingend sein…

Wasserbüffel kreuzen den Weg
„Homestay“ bei einer Laotischen Familie

Alles geht in dem für Laos typischen sehr gemächlichen Tempo weiter und irgendwie funktioniert trotzdem alles. Und dabei wird viel gelacht, insbesondere wenn man die wichtigsten Worte kennt. Der Einfachheit halber heißt vieles irgend etwas mit -lao:  beer-lao, coffee-lao und so weiter.

Fahrradfahren in der Hauptstadt von Laos: Vientiane
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mal wieder warten auf den Zug – hier in Thailand
mal wieder eine Reifenpanne – hier in Laos – Zeit? Egal!

Laos macht es einem leicht. Woanders ist es schwieriger, da braucht man mehr Zeit, um loszulassen, sich einzulassen, eigene Grenzen zu überwinden und Vorurteile abzulegen. „Slow Travel“ hilft dabei: sich langsam fortbewegen, um sich selbst die Zeit zu geben, die ganzen Eindrücke zu verarbeiten und sich zu öffnen für Neues.

Aber Vorsicht!  Langsamkeit kann weh tun.

Und ich meine damit nicht nur wenn man im local-bus auf Holzsitzen 24 Stunden quer durch das Land reist. Mir fällt Magnus ein, den ich im Himalaya in der Annapurna Region getroffen habe. Er erzählte von einer mehrtägigen Sitzmeditation, an der er teilgenommen hat. Er hatte so lange er denken kann Rückenprobleme mit Schmerzen. Während der Meditation wurden die so schlimm, dass er fast dachte, er müsse daran sterben. Aber er blieb sitzen und die Schmerzen gingen weg. Und kamen nie wieder. Auch mir ist ähnliches passiert: Ich hatte auf der gleichen Tour ziemlich schlimm mit der Höhe zu kämpfen, hatte unerträgliche Kopfschmerzen. Ich hatte das Gefühl, mein Kopf zerspringt.  Ich musste umkehren, die Tour abbrechen, was aber bedeutete, dass ich noch mehrere Tage  auf ziemlich hoher Höhe wieder zurück gehen musste. Kein Bus, in den man steigen kann, kein warmes Bett, in dem man sich mal ausruhen kann, kein Notausgang. Als ich eine gewisse Höhe unterschritten hatte fühlte ich mich auf einen Schlag so vital wie selten zuvor, der Rucksack wie eine Feder, ich selbst hatte Kraft, um Bäume auszureißen. Wahrscheinlich war ich einfach voller roter Blutkörperchen. Aber seitdem hatte ich nie wieder mit Kopfschmerzen zu kämpfen.

Irgendwo – Unterwegs in den Bergen

An die eigenen Grenzen stoßen schmerzt! Aber das Gefühl, ein Stück weit von diesen Grenzen überwunden zu haben ist befreiend und heilsam! Das sollte Reisen ausmachen: Indem ich die Welt entdecke, entdecke ich mich selbst. Und so reise ich immer weiter – immer auf der Suche – immer unterwegs – am besten immer schön langsam!SV300244

Trudele durch die Welt, sie ist so schön, gib dich ihr hin, und sie wird sich dir geben. (Kurt Tucholsky 1890 – 1965)


7 Gedanken zu “Slow Travel tut weh – und wie Laos mir den Spiegel vorgehalten hat

  1. Liebe Andrea, wieder ein herrlicher Beitrag! Und die wunderschönen Bilder von Laos lassen meine Urlaubserinnerungen wieder so richtig aufflammen! Das kann ich bei dem Winterwetter sehr gut brauchen – warme Sonnenstrahlen direkt in mein Herz! Danke für den Beitrag!!! Bin schon ein richtiger Fan von deinem Blog! 🙂
    glg, Elisabeth.

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  2. Liebe Elisabeth, oh das freut mich ganz besonders, dass dir mein Beitrag so gut gefällt! Habe natürlich beim Schreiben auch an dich gedacht. Du hast mir ja damals die Inspiration für diese Reise gegeben und eigentlich auch fürs Blog schreiben 🙂 Viele liebe Grüße nach Österreich!

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  3. Hallo Andrea,
    Mir gefällt dein Blogbeitrag richtig gut . Slow Travel heißt für mich auch vor allem, Zeit zu haben, sich auf einheimische Menschen einzulassen und eigene Grenzen im Denken und Tun dadurch zu überwinden. Sich öffnen….
    Shalom aus Israel,
    Marianne
    Alleinereisenjetzt.wordpress.com

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