Hallo Zugspitze! Ein Heimaturlaub.

„Penzberg ist der Schandfleck von Oberbayern.“ So hieß es noch vor etwas über fünfzig Jahren, als mein Vater sich entschloss, nach seinem Studium mit meiner Mutter und meinem Bruder von München dorthin zu ziehen, um seine erste Stelle als junger Gemeindepfarrer anzutreten. Zwei Jahre vorher hatte das Bergwerk in Penzberg, in dem Jahrhunderte lang die sogenannte „Pechkohle“ gewonnen wurde, geschlossen. Ein Jahr später kam ich in Penzberg auf die Welt. Mittlerweile konnte man die Wäsche wieder draußen aufhängen, ohne dass sie vom Kohlestaub schwarz wurde. Die alte Bergwerkshalde wurde zum Naherholungsgebiet mit Skihang umgebaut und von unserem Küchenfenster aus blickten wir auf die Zugspitze.

Blick über Penzberg: Hallo Zugspitze!

Neun Jahre war ich alt, als meine Eltern dann beschlossen, vom Voralpenland ins niedersächsische Flachland zu ziehen. Salzgitter hieß unser neues zu Hause und irgendwie trifft die Bezeichnung „Schandfleck“ auch auf diese Stadt zu, die auf dem Reißbrett geplant und für die vielen Arbeiter des dort ansässigen Stahlwerks gebaut wurde. Viele verstanden den Umzug nicht. Aber mein Vater fand Salzgitter spannend und für meine Mutter war es Zeit für etwas Neues. Ich – wie man das als Kind so macht – sah das genauso. Seitdem hatte ich Penzberg nicht mehr besucht. Überall war ich in der Welt unterwegs, auf nahezu allen Kontinenten und auch oft in den Alpen. Ich bin nach Köln gezogen, habe in Österreich gelebt. Aber nach Penzberg, in die Region südlich von München, mit Blick auf die Zugspitze, hat es mich seltsamerweise nie wieder hin verschlagen. Nach über vierzig Jahren war in diesem Herbst die Zeit für einen Heimaturlaub gekommen.

100 Jahre Penzberg. Vor 50 Jahren bin ich dort geboren. Über 40 Jahre war ich nicht mehr dort. Meine Heimat?

Heimaturlaub in Oberbayern – Die Berge meiner Kindheit

Einige Wanderkarten, einen Bildband und zehn kleine Zettelchen mit Notizen aus der Erinnerung zu Orten, Wanderungen, Sehenswürdigkeiten, Gasthäusern, Almen und Berggipfeln aus unserer Zeit in Penzberg gab mir mein Vater mit auf den Weg. An einiges erinnerte ich mich, an anderes nur aus Erzählungen, manches schien mir völlig unbekannt.

Eine Woche war zu kurz. Das stand schon vor unserer Reise nach Bayern fest, denn das Programm war eng gestrickt: Mit Wolfgang (und Bobby) hatte ich vor, möglichst viele der wichtigsten Orte meiner Kindheit zu besuchen. Des Weiteren stand ein Wiedersehen nach 40 Jahren mit meiner damals besten Freundin aus Penzberg an, sowie ein Treffen mit meiner langjährigsten Freundin aus Salzgitter, die mittlerweile in München lebt. Dann gab es noch ein „Dreijähriges“ zu feiern: Das bayerische Dackelfräulein Pippa und der Harzer Wanderkaiser Bobby hatten vor genau drei Jahren ihr erstes „BlogDogBlindDate“ aus dem eine wunderbare Freundschaft (nicht nur zwischen den Hunden) entstanden ist.

So erlebte ich einen rasenden Ritt durch die Vergangenheit in einer beinahe paradiesischen Bergwelt mit wunderbaren Begegnungen in dieser einen Herbstwoche, die vom Wetter nicht hätte besser sein können.

Gratwanderung Herzogstand – Heimgarten: Die Lieblingswanderung meiner Mutter

Was hat mir meine Mutter vorgeschwärmt von dieser Wanderung. Mit allen unseren Besuchern damals in Penzberg hätten sie diese Tour gemacht. Auch ich erinnere mich wage an die Gratwanderung zwischen Herzogstand und Heimgarten. Den lästigen Aufstieg kann man sich sparen. Es gibt eine Gondel. Aber auch deswegen ist diese Wanderung nicht nur besonders schön, sondern auch sehr beliebt. Gerade mit Hund sollte man das Wochenende und die Hauptsaison meiden. Und meine Mutter hat vergessen, dass sie damals jünger war, als ich es es heute bin. Der Grat ist nicht ohne. Schwindelfrei sollte man schon sein und ein wenig kraxeln sollte einem auch nichts ausmachen. Wenn man die über 1000 Meter ins Tal absteigt, so wie wir das gemacht haben, ist zudem Muskelkater vorprogrammiert. Davon hatte meine Mutter nichts berichtet. In ihrer Erinnerung war die Gratwanderung zwischen Herzogstand und Heimgarten eine reine Genusstour. Was sie eigentlich auch ist, denn jeder Schritt lohnt sich. Ich verstehe meine Mutter voll und ganz. Seht selbst:

Bequem mit der Gondel geht es hoch auf den Herzogstand.
Vom Gipfel des Herzogstands blickt man auf der einen Seite ins „Blaue Land“ bis nach München, …
… auf der anderen Seite in die Berge und auf den Walchensee, …
… sowie voraus auf den Grat rüber zum Heimgarten. Da geht es gleich entlang.
Bergpanorama genießen …
… auch während der Jause in der Heimgartenhütte.
Über 1000 Meter Abstieg …
… mit grandiosen Blicken auf den Walchensee.

Penzberg: Wir lassen keine 40 Jahre mehr vergehen!

Zwei mal besuchte ich in dieser Woche Penzberg. Ich traf meine alte Schulfreundin Claudia, die mich vor einiger Zeit auf Facebook wiedergefunden hatte. Sie ist genauso wie ich erst spät „Hundemama“ geworden, so gab es neben der gemeinsamen Vergangenheit auch aktuelle Parallelen in unserer beider Leben. Überall führte sie mich hin. Ein Stichwort genügte und sie sagte: „Schauen wir uns an.“ Unser Wohnhaus, die Kirche meines Vaters, unsere Schule (mit der Turnhalle, in der wir von unserer Lehrerin, die in ihrem karierten Wollkostüm am Rand stand, als „Mehlsäcke“ tituliert wurden), das Kino, in dem ich meinen ersten Kinofilm (Heidi) geschaut hatte. Vieles Alte gab es noch und sehr viel Neues ist dazu gekommen. Zum Abschied sagte ich „bis bald“ und Claudia setzte hinterher: „Wir lassen keine 40 Jahre mehr vergehen.“ Nein, ganz bestimmt nicht!

Penzbergs neuestes Kunstwerk: Von der Steinkohle zur DNA (die Firma Roche beschäftigt heue fast 5000 Menschen in Penzberg)

Beim zweiten Besuch in Penzberg begleitete mich Wolfgang, den ich nun zielsicher durch meine Stadt führen konnte, die sich fast schon ein wenig vertraut anfühlte. Wir folgten einem Hinweis der Notizen meines Vaters zum Hoisl-Bräu nach Plomberg. Als ich dort aus dem Auto stieg, war die Erinnerung sofort wieder da. Viele Sonntagsspaziergänge fanden hier statt mit anschließender Einkehr. Der alte Schuppen ist heute Carport für die Hotelgäste und das riesige Gehöft hat einen neuen Anstrich. Aber der Blick auf die Berge ist der, an den ich mich noch ganz genau erinnere: Hallo Zugspitze, schön dich zu sehen.

Der alte Schuppen vor über 40 Jahren …
… ist heute ein Carport für die Hotelgäste.

3-Jahres Jubiläumstour mit Zugspitzblick und Partnachklamm

Ja tatsächlich, über das Bloggen können echte Freundschaften entstehen. Nicht nur Bobby und Pippa haben sich vom ersten Tag an blendend verstanden, auch zwischen Natascha vom Blog Kraulquappe und mir passte es auf Anhieb, als wir uns vor genau drei Jahren auf einem Parkplatz in Nörten-Hardenberg das erste Mal trafen. Klar, dass es hier in ihrer (und irgendwie ja auch meiner) Heimatregion, die sie wie ihre Westentasche kennt, ein Wiedersehen geben musste. Ich wünschte mir die Partnachklamm (wenn man schon mal hier ist) und Natascha schüttelte eine Tour aus dem Ärmel, die keine Wünsche offen ließ. Goldener Herbst, abwechslungsreiche Wege, Zugspitzblicke ohne Ende, Kaiserschmarrn und Weißbier, spektakuläre Partnachklamm, 13 Kilometer, etwa 500 Höhenmeter – so die Eckdaten unserer Wanderung in Garmisch, die aber so viel mehr war:

Gemeinsam unterwegs: Das bayerische Dackelfräulein Pippa …
… und der Harzer Wanderkaiser Bobby zu Füßen der Zugspitze.
Von Garmisch ging es bergauf nach Wamberg, eines der höchstgelegenen Kirchdörfer, …
… wo es den ersten Fotostopp gab.
Nächste Pause: Eckbauer (Hallo Zugspitze!)
Prost auf drei Jahre (Blogger-) Freundschaft!
Ein wenig wandern mussten wir dann auch wieder, aber mit diesem Ausblick auf das Wettersteingebirge ging es fast wie von selbst.
Den haben wir uns nun echt verdient: Kaiserschmarrn auf der Kaiserschmarrnalm.
Gegen 16:30 Uhr, kurz bevor die Sonne hinter den Bergspitzen verschwand, erreichten wir die Partnachklamm.
Die Partnach tost vorbei …
… an staunenden Zuschauern.
Zurück in Garmisch besichtigten wir noch die Skisprungschanze, die sich rüstet für die Wintersaison …

Heimaturlaub in Penzberg: Dahoam des is koa Ort, dahoam des is a G’fui

Die Region rund um Penzberg, in der ich meine Kindheit verbrachte – Weilheim, Garmisch, Blaues Land, Voralpenland, Starnberger See bis München – ist wirklich wunderschön und auch Penzberg selbst ist auf jeden Fall kein Schandfleck (mehr). Von unserer Ferienwohnung in Murnau am Staffelsee (was für sich selbst schon einen eigenen Urlaub und Blogbeitrag wert wäre) aus, habe ich die Orte meiner Kindheit besucht, neue Entdeckungen gemacht und wunderbare Begegnungen gehabt. Und genau diese Begegnungen waren eigentlich das Schönste an der ganzen Reise. Danke an Claudia, dass du mich durch Penzberg begleitetet hast und mir ein Stück meiner Vergangenheit und damit auch von mir selbst näher gebracht hast. Danke an Tanja für die intensiven Gespräche über unsere Zeit in Salzgitter und den Gedankenaustausch über (verlorene) Heimat und das gemeinsame schauen ins „Blaue Land“ im Alpenblick am Staffelsee.

Murnau: Blick über den Staffelsee ins Blaue Land

Danke an Natascha für deine hervorragende Tourenführung (gerne wieder ;-)) und für gemeinsames lachen und weinen. Danke auch an Wolfgang für deine verlässliche Begleitung auf all meinen (Irr-) Wegen. Und danke an meine Eltern, von denen ich zwar wenig über Heimat gelernt habe, dafür umso mehr über die Leidenschaft für das Reisen und Wandern. Wie sie fühle ich mich von vermeintlichen „Schandflecken“ angezogen – auf der Suche nach dem Besonderen und dem Andersartigen. Aber immer häufiger kann ich auch einfach das offensichtlich Schöne genießen. All die Orte, die ein Teil unseres Lebens sind, die Wege die man mit Freunden und Familie gemeinsam geht, die Erlebnisse, die man teilt und die Gedanken, die man austauscht – das alles zusammen ist wahrscheinlich so etwas wie Heimat.


7 Gedanken zu “Hallo Zugspitze! Ein Heimaturlaub.

  1. Liebe Andrea,
    Himmel (der Bayern) nochmal, das haut aber jetzt auf meine Tränendrüse, dieser Beitrag! Wie du ja weißt, bin ich sehr mit dem Heimatthema verquickt, deshalb gehen mir viele deiner Sätze sehr unter die Haut…
    Das freut mich zutiefst, dass ihr eine so schöne Woche hier in Bayern hattet und dass ich einen Beitrag dazu leisten konnte. Ich hab‘ es sehr genossen, mit euch zu wandern, auf der Couch zu herumzulümmeln, zu ratschen, Musik zu hören, zu weinen und zu lachen – es war wirklich von allem etwas dabei und gottseidank auch genug Schneider Weiße TAP7.
    Jederzeit könnt ihr wieder bei mir Wohnungssuche & Touren buchen, auch nach Penzberg komm ich gern mal mit (war ja auch einer meiner Kindheitsorte, das Wellenbad bei Weitem kein Schandfleck) und auf alle anderen Wege ja sowieso. Es gibt hier so noch vieles, das wir gemeinsam mit unseren Hunden entdecken können!
    Da ich hier vermutlich niemals weggehen werde, habt ja für alle Zeiten eine Basisstation hier – und auch das 4- und 5-Jährige verdient doch eigentlich eine Feier samt Tour und allem möglichen Schmarrn, gell?
    Ein dickes Knuddeln für den großen Braunen und alles Liebe an seine Menschen,
    Eure Natascha mit Pippa

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    1. Vielen Dank, liebe Natascha, für deinen Kommentar und dein wunderbares Feedback zu meinem Artikel. Es hat tatsächlich einfach alles gepasst. Ich bin mir sehr sicher, dass ich in Zukunft öfter mal meine Heimatregion besuche (und nicht nur auf der Durchreise nach Salzburg mit einem Kurzstopp in München). Und du kennst mich, ich nehme dein Angebot ganz bestimmt an, mit der Wohnungssuche und der Tourenbuchung 😉 Einen dicken Knutscher für Pippa und ganz liebe Grüße aus dem niedersächsischen Flachland!

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  2. Das ist wirklich ein schöner Text! Ich freue mich auf viele weitere intensive Gespräche! Und wenn wir dabei so einen schönen Blick wie auf den Staffelsee haben, umso besser ☺️

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